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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
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Sau-Toni, Rochus und die Pest
Anmerkungen zu einer Heiligenfigur in der Anna-Kapelle

Zum Namenstag gab’s immer einen Zuckerweck, aber den Geburtstag haben wir eigentlich gar nicht gefeiert. – So kann man von alten Leuten hören. Noch vor 50 bis 100 Jahren waren die Heiligen ganz wichtig im Alltagsleben in katholischen Gegenden, wichtiger jedenfalls als der eigene Geburtstag. Alle kannten ihren Namenspatron und feierten dessen Jahrtag im eigenen Namenstag. Für jedes Problem gab es einen himmlischen Fürsprecher, die Feste der Heiligen gliederten und bestimmten den bäuerlichen Jahreslauf und schon kleinen Kindern waren “die vierzehn (oder auch zweimal sieben) Nothelfer” ein Begriff. Doch ehrlich gesagt: Wer kann sie denn noch alle aufzählen, die vierzehn Nothelfer?

(Versuchen Sie’s einmal, liebe Leser! Am Ende dieses Artikels finden Sie die Auflösung.)

In der Anna-Kapelle in Obernburg steht eine Heiligenfigur, der früher wohl besondere Verehrung zuteil wurde. Doch das ist lange her – so lange her, dass sogar die Gewissheit, um welchen Heiligen es sich hier handelt, im Laufe der Zeiten verloren gegangen ist. Die meisten halten die Statue für einen heiligen Antonius Abbas (z.B. in einem vor ein paar Jahren erschienenen Obernburg-Prospekt), andere glauben, es sei der heilige Rochus und berufen sich auf das Buch „Die Kunstdenkmäler in Bayern“, wo von einer Rochus-Figur in der Anna-Kapelle die Rede ist. Doch wem sagen diese beiden Namen eigentlich noch etwas?


Vielleicht fällt einem beim Namen des heiligen Antonius ein, dass er mit dem Auffinden verlorener Gegenstände zu tun haben könnte. Aber damit liegt man auch gleich wieder falsch: Mit „si quaeris“ (lateinisch: „wenn du suchst“) beginnt ein bekanntes Gebet des anderen Antonius, nämlich des Heiligen von Padua, der mit dem Jesuskind auf dem Arm dargestellt wird. An ihn wendet man sich, wenn man einen verlegten Gegenstand absolut nicht wiederfinden kann. Mit diesem Antonius hat unser Heiliger aber nichts zu tun.

Wer war also unser Antonius? Wieso verehrte man diesen Heiligen?

Antonius Abbas, so der korrekte Name dieses Antonius, ist der Patron der Tiere. Am 17. Januar feiert man sein Fest und zu dieser Gelegenheit wurden im bäuerlichen Italien die Nutztiere wie Schweine, Kühe und Pferde geschmückt und hatten einen Tag arbeitsfrei. Im Alltagsleben galt der heilige Antonius als letzte Hoffnung – für Pestkranke und Bauern, die ein erkranktes Tier im Stall hatten. Vor allem wenn es sich um ein krankes Schwein handelte, empfahl es sich dringend, den heiligen Antonius um seinen Beistand anzurufen. Genau aus diesem Grund wurde er von der ländlichen Bevölkerung immer ganz besonders verehrt, denn nur das Schwein im Stall garantierte einen gewissen Wohlstand.

Im Saarland heißt er „Sau-Toni“ und im Bistum Münster nennt man ihn den „Schwiene-Tüns“, verballhornt aus „Schweine-Antonius“, in genau derselben vertrauten – oder wenn man will respektlosen – Weise, wie man im täglichen Umgang auf dem Dorf den Namen eines guten Bekannten abkürzt und mit seinem wichtigsten Merkmal in Verbindung bringt: Kohlen-Karl, Holz-Michel oder eben Sau-Toni und Schwiene-Tüns.

Wenn wir das Leben der wirklichen Person Antonius zu fassen versuchen, stoßen wir wie bei vielen Heiligen auf ein Gemisch von Historischem und Phantastischem, das die Volksfrömmigkeit über die Jahrhunderte hinweg hinzugedichtet hat. Schon die Bezeichnung „Abbas“ (lateinisch für Abt) ist ein solches Detail. Abt ist unser Heiliger nämlich nie gewesen, aber die Bezeichnung „Abt“ verweist auf seine enge Beziehung zum Mönchsleben.

Antonius wurde in der Spätantike, im 3. Jahrhundert nach Christus, in Ägypten geboren. Vermutlich waren bereits seine Eltern Christen. Antonius war ein Sohn aus reichem Hause, doch er tat als Erwachsener genau das, wofür ungefähr tausend Jahre später auch ein anderer Heiliger, nämlich der heilige Franziskus, berühmt werden sollte: Er verschenkte nach dem Tod der Eltern sein gesamtes irdisches Hab und Gut an die Armen. Dann zog er sich als Einsiedler in die Wüste zurück.

Viele andere junge Männer folgten seinem Beispiel und so wurde der heilige Antonius der Vater des christlichen Mönchtums, noch lange bevor die ersten eigentlichen Klöster entstanden und Benedikt von Nursia sein berühmtes „ora et labora“ („bete und arbeite“) als Grundregel des klösterlichen Zusammenlebens formuliert hatte. Die Menschen suchten den Rat des Einsiedlers in der Wüste und Antonius soll sogar mit dem Kaiser Konstantin und dessen Söhnen in Briefkontakt gestanden haben.

Er galt als Autorität in Glaubensfragen. Bekannt ist seine Aussage über die Streitfrage, ob Jesus Gott oder Mensch oder beides zugleich sei: „Jesus ist wahrer Gott und wahrer Mensch.“ Die schlimmen Christenverfolgungen in Ägypten um das Jahr 308 überstand Antonius unbeschadet. Die Legende will, dass der Heilige biblische 106 Jahre alt geworden sein soll.

Wie nun kam Antonius in Verbindung mit dem Borstenvieh? Hier müssen wir ungefähr tausend Jahre weitergehen: Im Mittelalter benannte sich ein Orden nach dem heiligen Antonius. Diese Mönche zogen sich nicht aus der Welt zurück, sondern kümmerten sich um Kranke. Wir erinnern uns: Der heilige Antonius als letzte Hoffnung der Pestkranken. Es gibt sogar eine Krankheit, die den Namen des heiligen Antonius trägt: das „Antoniusfeuer“. Die Kranken wanden sich unter so starken Schmerzen, dass es den Anschein hatte, als litten sie unter einem schrecklichen inneren Feuer. In manchen Fällen wurden die Gliedmaßen schwarz, als wären sie verbrannt. Heute kennen wir die Ursache dieser merkwürdigen und im späten Mittelalter sehr häufigen Krankheit: Es ist das Mutterkorn, ein Pilz, der vor allem bei zu feuchter Witterung das Getreide befällt. Weil er schon früh in der Medizin als Wehenmittel eingesetzt wurde, gab man dem Pilz den Namen „Mutterkorn“.

Der Orden des heiligen Antonius hatte für seine Leistungen auf dem Gebiet der Krankenpflege das Privileg bekommen, Schweine frei weiden zu lassen Das war natürlich ein wirtschaftlicher Vorteil, da man auf diese Weise Futter sparte. Wegen dieser Schweine der Antonius-Mönche wird in der christlichen Ikonographie auch der Heilige selbst mit einem Schwein dargestellt, selbst wenn er persönlich bei seinem Eremitenleben in der Wüste nichts mit Schweinen zu tun hatte.

Auch die Obernburger Figur hat ein Tier neben sich, in dem man ein Schwein sehen könnte - vielleicht ist es aber auch ein Hund, und dann wären wir bei einem anderen Heiligen, nämlich Rochus. Sein Leben liegt noch viel mehr im Dunkeln als das des heiligen Antonius und in viel höherem Maße mischen sich Wahrheit und fromme Erfindung. Das ist nicht erstaunlich, denn Rochus war zwischen dem Ende des Mittelalters und dem 19. Jahrhundert einer der am meisten verehrten Heiligen überhaupt.

Ein paar Zahlen und Fakten mögen das verdeutlichen: Allein in Italien, wo seine Verehrung mit am frühesten einsetzte, sind 63 Ortschaften nach San Rocco (= italienische Lautung von Rochus) benannt und 3000 Kirchen und Kapellen sind ihm geweiht. Auch in Deutschland gibt es beispielsweise einen Rochusberg, der in der Nähe von Bingen liegt und übrigens auch von Goethe besucht wurde. Von Frankreich aus gelangte der Rochuskult nach Spanien und Portugal und von dort in die neue Welt und auf die Antillen.

Rochus, dessen Fest am 16. August gefeiert wird, war der Star unter den Heiligen des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit. Provokant gesagt: Dieser Heilige scheint so sehr einem Bedürfnis der Volksfrömmigkeit zu entsprechen, dass er, sollte er nicht gelebt haben, einfach erfunden werden musste.

Die Daten über ihn sind spärlich und zum Teil widersprüchlich. Nur in einem einzigen Punkt stimmen alle Legenden überein: Rochus soll im 14. Jahrhundert in Montpellier in Südfrankreich zur Welt gekommen sein. Auch er verlor wie Antonius früh seine Eltern und verkaufte wie dieser sein Erbe, um die Armen zu unterstützen. Dann brach er zu einer Wallfahrt nach Rom auf. Durch Norditalien führt eine große Pilgerstraße, die „Via Francigena“ („Frankenstraße“) nach Rom – diese Straße hat in Rochus ihren idealen Schutzpatron gefunden.

Die Legende überliefert, dass Rochus auf seinem Weg nach Rom in der Toskana den Pestkranken beistand. In der Gegend um Florenz hatte ja 1348 eine große Pestepidemie geherrscht, der beispielsweise die vom Dichter Francesco Petrarca besungene Laura zum Opfer gefallen war. Auch die erste große Novellensammlung des Abendlands, das Decamerone, verdankt dieser Pest seinen Ursprung. Rochus soll auf seiner Pilgerfahrt in der Toskana einige Wunderheilungen von Pestkranken bewirkt und kurz darauf in Cesena auch einen Kardinal von der schrecklichen Seuche gerettet haben. Dieser stellte Rochus daraufhin dem Papst vor.

Drei Jahre später wollte Rochus von seiner Pilgerfahrt heimkehren und brach in Richtung Norden auf. Unterwegs aber erkrankte er selbst an der Pest und zog sich in einen Wald zurück. Dort wäre er verhungert, hätte nicht ein Hund aus den benachbarten Gehöften heimlich Brotstücke gestohlen und dem kranken Rochus gebracht. In dieser Legende liegt der Grund dafür, dass Rochus oft mit einem Hund dargestellt wird, der manchmal ein Stückchen Brot in der Schnauze trägt. Auf anderen, meist jüngeren Darstellung ist das Kennzeichen dieses Heiligen die Pestbeule, die sich meistens am linken (links = böse, schlecht) Oberschenkel und nicht, wie es anatomisch korrekt wäre, in der Leistenbeuge befindet. Auf den ältesten Darstellungen hält er einen Pilgerstab in der Hand und trägt den breitkrempigen Hut der Rompilger.

Doch zurück zum Leben des Heiligen! Das merkwürdige Verhalten des Tieres fiel einem wohlhabenden Bürger mit Namen Gotthard (Gottardo) auf, der den Heiligen fand, ihn pflegte und später ein frommes Bettlerleben aufnehmen sollte wie Rochus selbst. Kaum war der Kranke aus dem Wald weggebracht worden, da erschien ihm ein Engel und heilte ihn durch ein Wunder. Nun konnte Rochus seine Rückreise fortsetzen, die jedoch nicht glücklich endete. Er wurde am Lago Maggiore wegen angeblicher Spionage verhaftet und starb fünf Jahre später im Kerker.

Genaue Daten werden in den Viten (mit diesem Begriff bezeichnet man die Lebensbeschreibungen der Heiligen) kaum genannt und wo sie genannt werden, treten sie oft in Widerspruch zu den historischen Gegebenheiten.

Schon Rochus’ Pilgerfahrt nach Rom ist nicht denkbar vor 1367, denn vorher lebten die Päpste im Exil im französischen Avignon. Erst 1367 beschloss Papst Urban V. nach Rom zurückzukehren. Setzen wir Rochus’ Pilgerfahrt aber nach 1367 an, in welches Jahr fiel dann die Pest, von der er den Kardinal und viele andere heilte? Die Epidemie von 1348 scheidet aus, denn damals residierte der Papst noch in Avignon. Andererseits aber lassen sich in Südfrankreich schon erste Spuren der Rochusverehrung vor dem Jahr 1400 finden und es existiert auch die Version, Rochus sei schon von einem der Päpste in Avignon kanonisiert worden. Widersprüche über Widersprüche – das ist typisch für diese Heiligenlegende.

Wie dem auch sei, die Rochuslegende enthält auf jeden Fall die prägenden Elemente ihrer Zeit: Pilgerfahrt, die Via Francigena und die Pest.

Schon bald wurde der Heilige, der Pestkranke gepflegt und selbst an der Seuche gelitten hatte, zum Patron der Kranken, den man bei allen Seuchen zu Hilfe rief. Sehr rasch setzte auch die Verehrung in Deutschland ein. Eine Kaufmannsfamilie aus Nürnberg, die Imhoff, hatten den Kult aus der Stadt Venedig, mit der sie Handel trieben, mitgebracht und um das Jahr 1485 in ihrer Heimatstadt etabliert. So ist es kein Zufall, dass die erste lateinische Lebensgeschichte des Heiligen in Köln veröffentlicht wurde. Bei der Pestepidemie und den anderen Seuchen, die am Ende des 30jährigen Krieges auftraten, war Rochus sicher schon der wichtigste Heilige, den man um seine Hilfe bat.

Wie man sieht, haben die beiden Heiligen, die für die Obernburger Figur in Frage kommen, doch einige Gemeinsamkeiten. Vor allem sind beide die Patrone der Kranken. So verwundert es auch nicht, dass der heilige Rochus manchmal zusammen mit dem heiligen Antonius dargestellt wurde, so beispielsweise in Südfrankreich.

Nicht nur in den Zeiten der Pest, sondern auch bei Typhus und Cholera, den großen Seuchen des 18. und 19. Jahrhunderts, wurden diese beiden Heiligen um ihre Fürsprache angefleht.

Rochus war immer ein Volksheiliger und seine Verehrung nahm solch extreme Formen an, dass sein Kult von Erasmus von Rotterdam und Martin Luther energisch kritisiert wurde. Infolge der Kritik am Kult des heiligen Rochus stand der Papst im Jahr 1590 vor der Frage, ob dieser aus der Liste der Heiligen gestrichen oder offiziell kanonisiert werden sollte. Man entschied sich für die zweite Lösung, so dass noch heute am 16. August der heilige Rochus in seiner Heimatstadt Montpellier mit einer Messe und einer Prozession gefeiert wird.

Ob die Obernburger Figur nun Antonius oder Rochus darstellt, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden. Eines scheint aber gewiss: Der Dargestellte galt als Helfer in Zeiten von Krankheit, Not und Seuche für Mensch und Tier.

Margit Kuhn

wichtigste verwendete Literatur:

San Rocco nell’arte – un pellegrino sulla Via Francigena; Ausstellungskatalog; Comune di Piacenza, Milano 2000

Anmerkung Juni 2006
Im “Main-Echo” vom 21.6.2006 schreibt Kreisheimatpfleger Dr. Werner Trost:
“Der vermeintliche Heilige Antonius in der Obernburger Annakapelle ist in Wirklichkeit der Heilige Joachim, der Gemahl der Heiligen Anna. Dies beweist der Vergleich mit dem um 1500 geschaffenen Annenaltar in der Marienkirche in Gelnhausen. Der heilige Joachim wird sowohl in Obernburg als auch in Gelnhausen als ‘Großvater’ mit wallendem Haupthaar und Bart dargestellt. Gesichtsausdruck, Haartracht und Kopfbedeckung der beiden Firuren, die vom gleichen Bildschnitzer geschaffen wurden, entsprechen sich. Buchrolle oder Buch wollen wohl aussagen, die Verheißung der Schrift erfüllt sich wie bei Sara, die dem Abraham, oder bei Rachel, die dem Jakob im hohen Alter ein Kind geboren hat.”

Auflösung der Frage am Anfang:
Die Nothelfer unter den Heiligen sind Achatius, Agidius, Barbara, Blasius, Christophorus, Cyriacus, Dyonisius, Erasmus, Eustachius, Georg, Katharina, Margarete, Pantaleon und Vitus. Für die weiblichen Heiligen gibt es folgenden Merkvers: „Sankt Margaretha mit dem Wurm, Sankt Barbara mit dem Turm, Sankt Katharina mit dem Radl, das sind die heiligen Madl.“

Hinweis:
In den „Obernburger Blättern 2001“, Heft 3, finden Sie eine ausführliche Beschreibung des Nothelfer-Altars und seiner Figuren in der Anna-Kapelle.