„Wie sahen die Gebäude, die sich hier an der Straße anschlossen, aus? Ergeben sich Hinweise auf Handwerkstätigkeit und wo begannen die Bestattungen, die sich in römischen Siedlungen immer entlang der Straßen am Rand der Siedlungen aufreihten?“ sind nur einige der Fragen, die sich zu Beginn der Untersuchung stellten. Die Ausgrabung lieferte detailreiche Antworten und ermöglichte es, einen weiteren Mosaikstein zur Provinzgeschichte Obergermaniens hinzuzufügen, mit dem man gar nicht rechnete.
Unsere bisherigen Kenntnisse über das römische Obernburg sind immer noch vergleichsweise gering, ist das antike Siedlungsareal doch fast vollständig durch mittelalterliche und moderne Bebauung unwiederbringlich zerstört. Systematische Ausgrabungen blieben die Ausnahme und umso dringlicher ist daher die Auswertung der wenigen großflächigen gut dokumentierten Grabungen wie sie schon in der Kapellengasse „Am Löwengarten“ und in der Römerstraße unmittelbar vor dem Oberen Tor durchgeführt wurden.
Wie man aus den bisher gemachten Funden schließen kann, nahm Obernburg am Mainlimes eine sicher nicht unbedeutende Stellung ein: Außergewöhnlich sind die Funde zweier Weihesteine, die Truppen nennen, welche speziell aus der Mainzer Legion zum Holzeinschlag abgeordnet wurden. Die teilweise mit detaillierten Reliefs versehenen Grabsteine der Zivilbevölkerung, darunter eines Bürgers aus dem Verwaltungsbezirk der Stadt Trier, Kultdenkmäler sowie eine aufwändig in Stein ausgebaute Station für Benefiziarier, also Soldaten, die als direkte Repräsentanten des Provinzstatthalters fungierten, sprechen eine deutliche Sprache.
Herausragend ist auch der Fund einer aus Italien importierten Glasschale vom Ende des vierten Jahrhunderts, in die biblische Szenen eingeschliffen sind und die auf eine Besiedlung des Kastellbereichs in nachrömischer Zeit eindrucksvoll hinweist.
Leider erschließt sich der größte Teil unseres Wissens über das römische Obernburg aus meist nicht ausreichend dokumentierten Zufallsfunden, die im Rahmen von Bauarbeiten gemacht wurden. Zwar reicht die Erforschung der römischen Vergangenheit Obernburgs bis ins 18. Jahrhundert zurück, als der Benediktinerpater Joseph Fuchs im Auftrag des Mainzer Kürfürsten erstmals die Altertümer im Kurfürstentum beschreibt, doch war es noch ein weiter Weg hin zu systematischen Forschungsarbeiten.
Über das römische Gräberfeld am nördlichen Stadtausgang sind wir beispielsweise erstmals aufgrund der Antikenbegeisterung eines nach Obernburg abkommandierten Majors unterrichtet, der 1849 die von ihm befehligten Soldaten sehr viele Brandgräber ohne nähere Dokumentation ans Licht des 19. Jahrhunderts holen ließ. Auch für die Anlage des Steinkastells unter dem heutigen Stadtkern sind heute immer noch die Grabungen der Reichslimeskommission, die Ende des 19. Jahrhunderts durchgeführt wurden, maßgeblich. Fast die gesamte Forschungstätigkeit im 20. Jahrhundert gründete sich zudem auf Notbergungen der amtlichen Denkmalpfleger und heimatgeschichtlich Interessierten.
Nach den Grabungen in der Kapellengasse im Bereich des so genannten Löwengartens und in der Römerstraße im Vorfeld des Baus des „Torhauses“ vor dem Oberen Tor bildet die diesjährige Ausgrabung an der Mainbrücke also erst die dritte systematisch durchgeführte großflächige Grabung, womit sehr detaillierte Ergebnisse für die Rekonstruktion der antiken Besiedlungsgeschichte in diesem Bereich erarbeitet werden können. Die antiken Schichten lagen etwa 30 bis 50 cm unter der modernen Oberfläche und waren nur in geringen Bereichen durch die Anlagen der Gärtnerei, die bis vor wenigen Jahren dort noch existierte, gestört.
Die römischen Siedlungsspuren reichten unterschiedlich tief, von etwa 1,5 bis über 2,8 m Tiefe unter der modernen Oberfläche. Unter diesen Schichten fanden sich im anstehenden helleren Lössboden vereinzelt noch abgerollte Scherben handgemachter vorgeschichtlicher Keramik, darunter auch der Kopf einer profilierten Bronzenadel. Diese Funde stammen nicht von einer Siedlung an dieser Stelle, sondern wurden von den höhergelegenen Hangbereichen dorthin geschwemmt, denn Siedlungsspuren dieser Zeitstellung, wie Gruben oder Pfostenlöcher, fehlten.
Die römische Steinbebauung umfasste die Straßentrasse (Abbildung) und eine sorgfältig aus Sandsteinhandquadern gesetzte Zisterne (Abbildung), alle übrigen Bebauungsspuren rührten von Holzbauten her. Die römische Straßentrasse verlief parallel zur heutigen Miltenbergerstraße, nur um wenige Meter nach Osten versetzt. Es handelte sich um eine stellenweise mehrfach ausgebesserte Trasse aus Sandsteinen aus dem Flussschotter des Mains. Im obersten und damit jüngsten Bereich der Pflasterung saßen Steine, teilweise mit Durchmessern von bis zu 30 cm, zu beiden Seiten verlief jeweils ein Straßengraben.
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