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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Erinnerungen an Sommerzeiten im Nachkriegs-Obernburg

Die für unsere Breiten extreme Hitzeperiode im Juni/Juli dieses Jahres hat bei mir starke Erinnerungen an die Sommer in den anfänglichen 50er Jahren wachgerufen, die sich in meinem Gedächtnis, damals Volksschüler in Obernburg, als besonders heiße Sommer festgesetzt haben. Wie ich überhaupt den Eindruck habe, dass die Sommer damals intensiver waren und länger gedauert haben als heutzutage. Dabei mag ich mich möglicherweise irren, gefühlsmäßig kommt es mir aber so vor. Auf alle Fälle erinnere ich mich sehr gerne an diese für uns Kinder unbeschwerte und sorglose Zeit, an den Alltag und wie ihn die Menschen bei der damaligen Hitze gemeistert haben; aber auch an das, was in dieser Zeit im Vergleich zu heute anders war.

Da keine andere Phase der Kinder- und Jugendzeit für mich prägender war als die vorerwähnte, halte ich die Erinnerungen daran für wert, festgehalten zu werden zur Erbauung der älteren Leserschaft und zur Information der jüngeren Leser:

Der normale Werktag begann damals mit dem gemeinsamen Frühstück daheim in der Familie und dem anschließenden Gang zur Schule, der von uns Schülern im Sommer üblicherweise meist barfuß oder höchstens in Holzsandalen, die mit Lederriemchen an die Füße geschnallt waren, zurückgelegt wurde. Schulbusse kannte man damals noch nicht.

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Die Alltagskleidung bestand bei den meisten Buben aus einem kurz-ärmeligen karierten Hemd und einer kurzen Hose (vielfach Lederhose mit je nach Anzahl der älteren Brüder mehr oder weniger speckiger Patina), die, weil oftmals noch zu groß, mittels Hosenträgern am Rutschen gehindert wurde.
 

Kindergartenkinder um 1950

 

Die Mädchen hatten leichte Sommerkleidchen oder am Rücken zugebundene bunte Kittelschürzchen an. Wir Buben waren überwiegend nach der Marke „Einheitsschnitt“ frisiert, die Mädchen trugen entweder eine Haarrolle oder Mittelscheitel und Zöpfe.

Was an Heften und Büchern gebraucht wurde, befand sich neben dem Vesper für die Pause in einem oftmals vom Gebrauch durch die älteren Geschwister schon recht ramponierten Bücherranzen auf dem Rücken.

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Schuljahrgang 1944 in der 3. Klasse in der Mädchenschule

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Situation in den 1950er Jahren

 

In den ersten vier Klassen waren Buben und Mädchen eines Jahr-gangs noch beisammen, während ab der 5. Klasse die Mädchen in die unweit von der Bubenschule gelegene Mädchenschule (heute Stadtbibliothek) umquartiert wurden (die Bubenschule stand am Stand-ort des heutigen Seniorenheims).

Der Unterricht dauerte mit Pause meistens von 8 bis 11 Uhr und nachmittags von 13 bis 15 oder 16 Uhr. Waren die Vormittage von intensiver Schularbeit geprägt, wur-den die Nachmittage bei ent-sprechendem Wetter je nach Lehr-kraft mit verschiedenen Aktivitäten überwiegend im Freien zugebracht.

 

So kann ich für uns Buben sagen, dass es in der 5. und 6. Klasse mit Lehrer Otto Jäger, selbst ein ausgewiesener Sportler, so gut wie immer zum Sportplatz am Main ging. Dort wurde Ball gespielt, Leichtathletik betrieben und im nahen Main geschwommen, während wir in den Nachfolgeklassen mit dem mehr naturverbundenen Lehrer und Schulleiter Josef Michelbach oft in Wald und Flur gingen, wo Biologie vor Ort gelehrt und viel von Römern und Germanen und deren Hinterlassenschaften erzählt wurde.

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Die Fotos zeigen Schüler der Jahrgänge 1938/39 und 1939/40 mit Lehrer Michelbach und Oberförster Neswetha beim „Tag des Baumes“. An diesem Tag wurden im Schulwald am Eingang des Tiefen Tales Bäume gepflanzt.

Im Bild rechts oben zeigt den Schulwald im Jahr 2015, darunter das Original-Hinweisschild, das heute nicht mehr angebracht ist.

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Von beiden Lehrern haben wir viel gelernt und sie waren bei uns Buben hochgeachtet, obwohl sie, wenn nötig, den Rohrstock wirkungsvoll einzusetzen wussten.

Aber das war so und hat niemandem nachhaltig geschadet – und an der Schule herrschte Respekt und Ordnung und keine Lehrkraft musste wegen Ausgebranntsein in den vorzeitigen Ruhestand gehen!

War der Unterricht am Nachmittag vorbei, bewegten sich die Barfüßler mehr hüpfend als gehend und jeden Schatten suchend Richtung Elternhaus, weil die Pflastersteine in den Straßen und Gassen von der Sonne derart heiß aufgeladen waren, dass ein normales Gehen nicht möglich war. Daheim betätigten wir Kinder uns je nach Gusto, wobei aber schon überwiegend die Regel galt: erst die Arbeit (z. B. Hausaufgaben), dann das Spiel.

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Spielen wiederum bedeutete - anders als in nicht wenigen Familien heute - wirkliches Spielen mit Geschwistern und Kindern aus der Nachbarschaft. Dabei überwog die Freude an der Bewegung und die Muse zum Träumen und Phantasieren: Ball spielen, verstecken, basteln, Rad fahren, Stelzen laufen, Seil springen, musizieren, lesen usw.

Bei mir war es so, dass sich meine Freizeit außerhalb der Schulferien in Grenzen hielt und nicht allzu viel Zeit zum Spielen blieb, weil ich, wie viele meiner Schulkameraden auch, nach den Hausaufgaben der Mutter in Haus und Garten geholfen habe, und zwar bei Arbeiten jeglicher Art.

Es gab nämlich in den meisten Haushalten weder Waschmaschine noch Wäschetrockner, weder Zentralheizung noch Spülmaschine, weder Elektroherd noch Kühlschrank oder Kühltruhe. Die Hausfrauen waren mit den Arbeiten für die Familie von morgens bis abends voll ausgelastet.

Daneben war dann auch noch der Garten zur Selbstversorgung mit Gemüse, Salat, Früchten usw. zu versorgen. Da waren zwei helfende Hände nach der Schule, wenn auch nur stundenweise, schon sehr willkommen.

Apropos Garten: Hatte es im Sommer an mehreren Tagen nicht geregnet, fuhren wir auch noch nach dem Abendessen mit dem Handwagen voller leerer Kannen und Eimer über den „Hundbaumweg“ (heute Deckelmannstraße) zur „Ziegelhütte“ (früheres landwirtschaftliches Anwesen Hock), wo wir genau gegenüber einen Garten ohne direkten Wasseranschluss hatten.

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Bewässert wurde der, indem aus der „Besch“ (Mühlbach, der in späteren Jahren leider verrohrt wurde und heute nur noch im Bereich der Annakapelle ein Stück offen ist), die oberhalb der heutigen Umgehungsstraße ver-lief, mit Eimern und Gießkannen Wasser geholt wurde. 40 – 50 Eimer pro Abend waren keine Seltenheit. Damit war dann der Abend gelaufen.

 

Links unten sind die Gebäude der Ziegelhütte zu sehen. Das Feld Richtung Stadtmitte war damals noch nicht bebaut. Der Verlauf der „Besch“ ist mit der blauen Linie markiert.

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Wenn einmal nicht gegossen werden musste und Vater nach einem arbeitsreichen Tag Lust auf ein gemütliches Bier verspürte, wurde ich in die „Sonne“ ge-schickt (Gasthaus „Zur Sonne“ gegenüber meinem Elternhaus), um in einem Steinkrug Bier zu holen. Das tat ich aus zweierlei Gründen gerne: Erstens war die Eingangshalle der „Sonne“, von der aus es in Gaststube und Nebenräume ging, mit einem Terrazzoboden belegt, der im Sommer wunderbar kühl und damit eine Wonne für Barfüßler war und zweitens  weil ich mir hin-

ter der Eingangstüre der „Sonne“ - von außen nicht einsehbar – von der Maß Bier stets einen Schluck genehmigt habe, dessen Fehlen bei einem Steinkrug mit Schaumkrone überhaupt nicht aufgefallen ist.

Schlechtes Gewissen hatte ich keines, da ich mir den Schluck Bier als Belohnung fürs Holen angerechnet habe.

Was in unserem Stadtviertel auch typisch für die damalige Zeit war und an das ich gerne zurückdenke, war, wenn in den mein Elternhaus umgebenden hauptberuflich oder nebenberuflich geführten landwirtschaftlichen Betrieben von Jakob Nebel, Philipp Volk, Theodor Reis, Johann Englert, Johann Lebert und Michael Englert nach dem morgendlichen Melken mit viel entsprechendem Geräusch die Außenarbeit begann. Ich denke da besonders an das unserem Haus gegenüber gelegene Anwesen Johann Englert (später auf den Berg ausgesiedelt, heute Fa. Traud/Recknagel).

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Dazu wurden die Wagen, wenn sie nicht noch vom Vorabend auf der Straße standen, aus der Torhalle auf die Römerstraße geschoben, die Pferde aus ihrem Stall geführt und mit den üblichen Kommandos eingespannt. Später über-nahm dann die Pferdearbeit ein „Güldner“-Ackerschlepper, was zwar nicht mehr so romantisch, sicher aber wirtschaftlicher war. Aber selbst das Geräusch des morgend-lichen Anlassens des Schleppers mit seinem typischen anfänglichen Diesel-ruckeln und –schütteln hat sich in meine Erinnerung eingegraben.

Bild: Anwesen Johann Englert mit Hoftor

 

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An was ich besonders gerne denke, ist die Stimmung, die herrschte, wenn in unserem Viertel der Feierabend einkehrte, wenn die Tagesarbeit getan war, die Leute sich aber nicht daheim ver-schanzten, sondern auf die Straße gingen, um noch miteinander zu reden, Neuigkeiten auszutauschen, zu lachen und zu scherzen.

Da setzte man sich einfach auf Treppenstufen, Schaufensterbänke oder mitgebrachte Hocker und Stühle, holte von daheim Bembel mit Ebbelwoi und Gläser oder aus der „Sonne“ im Maßkrug Bier und ließ den Tag in fröhlicher Gemeinschaft ausklingen.

 

Es konnte gut sein, dass, während sich die Alten unterhielten, die Jungen über die Straße hinweg Ball spielten, wobei das Hoftor von Englerts meistens als Fuß- oder Handballtor herhalten musste. Auf Straßenverkehr brauchte man kaum zu achten, es gab ihn fast nicht.

Wenn es dann so gegen 21 Uhr „fimmel“ (düster) wurde, zogen sich die Ersten zurück, die Unterhaltung ebbte ab, man wünschte sich eine gute Nacht und ging heim.

Auch die Sonntage im Sommer dieser Jahre möchte ich in meiner Erinnerung nicht missen. Auftakt war für die meisten Obernburger der Gang zur Sonntagsmesse, entweder zur Frühmesse um 7 Uhr oder zur Messe um 8.15 Uhr oder zum „Amt“ um 9.30 Uhr. Damals befanden wir uns im Gegensatz zu heute noch in der komfortablen Lage, sonntags aus sage und schreibe drei Gottesdiensten auswählen zu können, die übrigens alle gut besucht waren!

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Anschließend gingen viele Männer zum Kartenspielen in die „Traube“, den „Ochsen“, den „Löwen“, die „Sonne“ oder in eine andere der vielen Gastwirtschaften in unserer Stadt. Dort wurde geklopft, was das Zeug hielt (auch Sprüche!), während die Frauen nach der Kirche heimgingen, um das Mittagsmahl für die Familie zu bereiten, was bei Holzfeuer im Herd schon Stunden dauern konnte.

Wenn sie Glück hatten, kam der Gemahl gegen 12 Uhr heim und es konnte gemeinsam gespeist werden. So manche brave Frau soll aber nicht selten das Essen mehrmals aufgewärmt haben, bevor der Gatte endlich daheim aufgetaucht ist.

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Es gab aber auch Leute, die sich nach der Kirche anstatt zum Kartenspielen zum gemeinsamen Singen verabredeten und sich dazu bei einem von ihnen daheim im Wohnzimmer bei einem Bembel Ebbelwoi zusammensetzten.

 

Diesen schönen Brauch beobachtete ich oft im Elternhaus von Erhard Englert (linkes Haus im oberen Bild) in der Römerstraße (später auf den Berg ausgesiedelt/heute Sparkasse). Gesungen wurden bei weit geöffneten Fenstern Stimmungs-lieder, Volkslieder oder Lieder, die man gerade im Gesangverein gelernt hatte und die jedem, der sie von der Straße aus hörte, das Herz aufgehen ließen, zumal die Sänger ausnahmslos mit schönen Stimmen ausgestattet waren und immer noch sind, denn einige leben noch.

 

Bild links: Sänger beim Ständchen an Neujahr 1954

 

 

Ähnlich war es, wenn sich Schmiedemeister Walter Helm (Bilder unten) nach einer arbeitsreichen Woche sonntags aus Freude an der Musik sein Akkordeon umhängte und bei offenem Fenster seiner Spielfreude freien Lauf ließ. Da er das Instrument virtuos beherrschte, war es eine Lust, ihm von der Straße aus zuzuhören. Weil ich etwa zur gleichen Zeit bei Musiklehrer Ernst Lindner im Akkordeonspiel unterrichtet wurde, war Walter Helm für mich stets Vorbild.

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Die Zeit nach dem sonntäglichen Mittagessen war für uns Buben immer besonders spannend. Gegen 14 Uhr trafen sich nämlich meistens immer die gleichen Motorradliebhaber aus Obernburg und Umgebung mit ihren Maschinen an der unweit von unserem Haus gele-genen Tankstelle Bock (Bild links), um für den Sonntagsausflug aufzutanken.

Da dabei stets Erfahrungen und Erlebnisse ausgetauscht wurden, waren die Aufenthalte recht lange und gaben uns Gelegenheit, die frisch geputzten Maschinen der Marken „Horex“, „NSU“, „BMW“ und „Triumph“ usw. immer wieder aufs Neue zu bestaunen und zu begutachten.

Am meisten begeisterten uns die „Horex“-Maschinen mit ihrer tollen Lackierung in Chrom und Rot und ihrem aufregenden Motorenklang. Wenn die Meute dann mit vollen Tanks gemeinsam aufbrach, schien uns das Donnern der Maschinen wie Musik in den Ohren.

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Am Nachmittag ging’s oft zum Baden an den Main; um den im Volksmund „Urbaum“ genannten riesigen Baum herum war der Badeplatz, wo es bei gutem Wetter vor Besuchern wimmelte. Wer bis zum gegenüberliegenden Mainufer und wieder zurück schwimmen konnte, war anerkannter Schwimmer. Wem das nicht gelang, war Wasse-planscher und musste mit Autoreifen oder Schwimmbüchse noch üben.

Das tat er/sie am besten in der Besch, die war nicht tief und die Nichtschwimmer waren ziemlich unter sich.

 

 

Ernst Schnabel, Gerd Heider und Richard Koch in der Besch

So haben mein Bruder und ich es auch gehalten mit einer leeren „Gutsjenbüchse“ (ca. 50 cm hohe blecherne Bonbondose) von unserem Nachbar Jakob Gruber, bei der Willi Bock den Deckel zu- und zwei Ösen aufgelötet hat. Durch die Ösen wurde ein alter Gürtel gefädelt und das Ganze auf den Rücken geschnallt. Nun konnte man Schwimmen üben und dabei nicht untergehen.

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Rechts Café Strobel, links daneben Haus Schnabel

Ein weiterer Sonntagshöhepunkt war, wenn im Café Gruber (später dann Café Strobel) die Eismaschine angeworfen und Eis verkauft wurde. In der Regel gab es Eis mit Vanille-, Zitronen- oder Schokoladen-geschmack.

Ein Bällchen kostete zu dieser Zeit zehn Pfennige und wurde auf einem ca. 10 x10 cm großen leichten Pappdeckel gereicht, schmeckte aber trotzdem köstlich.

Der Eisumsatz konnte anderntags leicht an der Menge der weggeworfenen Pappdeckel abgelesen werden, da diese allesamt auf der Straße lagen. Die essbaren Eistütchen kamen erst Jahre später auf den Markt.

Einmal kam es zu einem Unfall, als Maria, die Tochter der Eheleute Gruber, beim Eismachen mit ihren Haaren in die Eismaschine geriet und dabei erheblich am Kopf verletzt wurde.

Was sich in meiner Erinnerung auch noch besonders festgesetzt hat, ist die offene und freimütige Art, wie in den Jahren kurz nach dem unseligen Zweiten Weltkrieg unser christlicher Glaube nach außen zelebriert wurde!

Ich denke da an die vielen Prozessionen, die im Laufe des Kirchenjahres abgehalten wurden und an denen, egal zu welcher Tageszeit, eine Vielzahl von Gläubigen teilgenommen hat, deren Bitt- und Lobgesänge stets von Mitgliedern der Stadtkapelle musikalisch begleitet wurden.

Oder an die Empfänge der nicht wenigen aus Obernburg stammenden Neupriester, wenn sie zur Feier ihrer Primiz in die Heimat gekommen und voller Freude und Stolz von der Bevölkerung begrüßt worden sind.

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Obernburger Priester zusammen mit Stadtpfarrer Hefner:
von links: Pater Mees, Pfarrer Kammer, Pfarrer Adelberger,
Geistlicher Rat Hefner, Pfarrer Konze, Pfarrer Link, Pfarrer Oberle

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Oder an die Besuche unseres Bischofs, wenn er sich zur Firmung angesagt hatte und am Vorabend an Kirche und Ra-thaus von Geistlichkeit, Pfarr-gemeinde, Bürgermeister und Stadtrat mit feierlichen Reden, Blasmusik und Kirchenchor empfangen wurde.

 

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Es versteht sich von selbst, dass bei all diesen Anlässen die Straßen festlich mit Fahnen und Girlanden geschmückt waren und in der Stadt Hochstimmung herrschte.

Auch die jeweils Ende Juli gefeierten Anna-Tage jener Zeit, bei denen Hiesige und auswärtig wohnende Obernburger ihrer verstorbenen Angehörigen durch den Grabbesuch gedachten, waren für mich denkwürdige Ereignisse; besonders die Abendfeiern, die damals noch zu späterer Stunde als heute stattfanden.

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Die blumengeschmückten Gräber erstrahlten im Schein von vielen Lampen und Kerzen und erzeugten in der Abenddämmerung eine ganz eigene Atmosphäre.

Bei der Abendandacht direkt an der Annakapelle konnte es einem dann schon die Stimme verschlagen, wenn die Stadtkapelle die vertrauten und von alters her bekannten Lieder anstimmte und der greise Vorbeter Gregor Weiler in seiner unverwechselbaren Art begann, die Andacht zu beten und die Liedtexte abschnittsweise vorzusagen.

Wenn dann am Ende der Andacht bei hereinbrechender Dunkelheit die Kapelle noch das Lied vom guten Kameraden intonierte, musste jemand schon ein ganz harter Brocken sein, wenn ihn diese Stimmung nicht berührt hat.

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Da Christen nicht nur beten, sondern auch feiern sollen, verteilte sich die überwiegende Zahl der Andachts- und Friedhofsbesucher anschließend auf die örtlichen Gasthäuser, um den Anna-Tag in gebührender Weise ausklingen zu lassen. Dass es da recht spät werden konnte, habe ich selbst erlebt, wenn ich im Bett lag und nicht einschlafen konnte, weil es den Gästen gegenüber in der „Sonne“ gar so gut gefallen hat und alle Fenster offen standen. Aber das gehörte einfach dazu!

Es gäbe noch so vieles zu berichten; aber ich will damit meinen Rückblick beenden. Inzwischen ist viel Wasser den Main hinuntergeflossen, die Zeiten haben sich geändert, auch die Ansichten, Ansprüche und Meinungen der Menschen. Ob die Zeiten damals besser oder schlechter waren, mag deshalb jeder Leser für sich selbst beurteilen.

Was jedoch ihre Auswirkungen auf die Kindesentwicklung anbelangt -und ich habe ja aus Kindersicht berichtet-, ist meine felsenfeste Überzeugung, dass die damalige Zeit für Kinder und auch Heranwachsende spannender, gesünder, menschlicher, herzensbildender und lehrreicher, insgesamt gesehen einfach schöner, wichtiger und prägender war als die Jetztzeit. Und dies trotz - oder vielleicht sogar wegen - der heutigen, die Kindererziehung stark beeinflussenden „neuen Erkenntnisse“, wie beispielsweise großzügig bemessenes Taschengeld, Verteufelung aller auch nur im Entferntesten an Konsequenz, Druck oder Kritik erinnernden Erziehungsmethoden, übersteigertes mitunter bis zur Selbstverleugnung gehendes Fürsorgebemühen, oft verbunden mit kritikloser Tolerierung kon-sumorientierter Ansprüche (Stichwort: Markenartikel!) oder Duldung der Allg-genwart von technischen Geräten zur Unterhaltung, Kommunikation und Informationsvermittlung.

Gottseidank üben sich eher konservativ eingestellte Eltern in dieser Beziehung im Interesse des Kindeswohls in gesunder kritischer Zurückhaltung und fallen dem Zeitgeist nicht anheim, wonach alles Neue auf dem Gebiet der Erziehungslehre für die Entwicklung eines Kindes auch gut ist.

Ernst Schnabel