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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Die römische Orlis-Streife

In flottem Trab ritten die beiden römischen Soldaten zum oberen Tor des Kastells Obernburg hinaus. Hinter ihnen schloss sich sofort das Tor, als sie die Holzbrücke über den mannstiefen und vier Meter breiten Lagergraben überschritten hatten. Herbstlich frisch und neblig lag die Morgenluft im Maintal. Die beiden Reiter trabten schweigend bis zur Einmündung der Mömling in den Main. Hier verließen sie das Tal und strebten auf einem Hangweg der Höhe rechts zu. Auf dem schmalen Hangpfad erreichten sie die Höhe. Da mündete der Pfad in einen breiten Weg. Ein Fahrweg in dem dichten Wald zog sich auf der Höhe entlang. Um ein vielfältig verästeltes Ende einer Schlucht bogen sie von der Hochstraße ab und trafen nach einem frischen Galopp am Wachlager ein.

In einem Mauergeviert war eine Anzahl von Zelten aufgeschlagen. Inmitten der Lagermauer erhob sich ein gezimmerter Turm hoch über die Baumkronen. Auf der Plattform oben lugten zwei Wächter in die Weite. Der blonde Reiter war zum erstenmal hier oben. Er durfte den Turm besteigen. Ein Angehöriger der Wache kümmerte sich um die grasenden Pferde. Der Blonde war über die Leitersprossen zur Plattform gekommen. Ein Geländer sicherte die geräumige Bretterfläche. Der eine Eckstamm des Turmes trug eine bewegliche Stange wie einen Schlagbaum. Eben wurde die halbabgebrannte Fackel gegen eine rote Flagge ausgewechselt. Das Schwenken der Flagge am Tage oder der Fackel in der Nacht zeigte den Nachbartürmen auf weite Sicht, ob alles in Ordnung sei oder ob man auf der Hut sein müsse.

Der Blick ging hier weit über die Höhen und hinunter ins Maintal bis nach dem Kastell Niedernberg; auch das feste Lager Stockstadt war noch durch den Dunst zu erkennen. Der nächste Signalturm auf der Höhe war gut auszumachen. Nach kurzem Aufenthalt sprengten die beiden Reiter den Weg zurück zur Hochstraße. Noch einige solcher Orliswachen waren zu besuchen. Orlis nannte man den ganzen Höhenzug mit seiner Hochstraße und den Wach- und Signalstellen. Von hier oben waren der jenseits der Römergrenze liegende Spessart und vor allem die Talmündungen einzusehen. Im letzten Wachlager oberhalb des Kastells Niedernberg nahmen die beiden Streifenreiter den Auftrag mit, dass ein plötzlich erkrankter Soldat bald abgeholt und ins Kastell zum Arzt gebracht werden sollte, ein Ersatzmann solle heraufkommen.

Es war schon über die Mittagszeit geworden, als die beiden vor dem Lagertor des Kastells Niedernberg hielten. Der schwarze Gallier meldete den durchgeführten Kontrollritt und die Erkrankung des Soldaten. Nach einer Pause, kurzer Mittagsrast mit wohlschmeckender und reichlicher Mahlzeit, erhielt der Streifenführer noch eine geschriebene Nachricht in einer verschnürten und versiegelten Lederrolle für den Befehlshaber des Kastells Obernburg. Dann konnten die beiden ohne Hast den Rückweg antreten.

Nun blieben sie auf der festen, teilweise gepflasterten Mainstraße. An einem befestigten Wachlager gab es keinen Aufenthalt mehr. Der Gallier war schon weit in der Welt herumgekommen. Der junge Germane war am Rhein daheim. Er hatte sich von den Versprechungen der römischen Werber zum Heerdienst verpflichten lassen.

Er wollte auch hinauskommen in die Welt, etwas sehen und erleben und später stolz und mit Auszeichnungen und Reichtümern wieder heimkommen. Zunächst war der junge Soldat in ein großes Ausbildungslager an der Mosel gekommen. Manchmal hatte ihn das Heimweh arg geplagt. Aber schließlich war er doch ein gewandter und harter Römerreiter geworden und jetzt war er glücklich bei der Einsatztruppe angekommen.

Die 22. Legion mit ihrem Hauptplatz in Mainz war im Römerheer recht angesehen und die 4. aquitanische Kohorte mit ihrem Reitertrupp im Kastell Obernburg hatte er schon in den ersten Tagen als eine straff geführte, dabei recht kameradschaftliche und fröhliche Lagergemeinschaft kennen gelernt. Es war gut leben in dieser lieblichen Landschaft, im Maintal mit den Waldhöhen des Odenwaldes und mit dem Blick über die nasse Grenze in das gewiss friedliche Germanien. Würde es immer friedlich bleiben? Sollten eines Tages Germanenkrieger im Römerheer gegen die Germanenbrüder drüben ziehen, kämpfen müssen? Solche Gedanken zogen durch den Kopf des blonden jungen Mannes.

Im Taunus hatte er schon die befestigte Grenze mit Pfahlzaun und Grenzgraben und Wachttürmen kennen gelernt, und er hatte auch erfahren, dass man weiter südlich in waldarmen Gegenden eine feste Grenzmauer errichtet hatte. So ganz sicher verließen sich also die Römer nicht auf die Friedensgesinnung der Germanen.

Im lebhaften Zwiegespräch voller Fragen und Zukunftspläne und mit mancher nachdenklichen Pause der Erinnerung kamen die beiden Reiter wieder beim Kastell Obernburg an. In der Kommandantur gaben sie die mitgebrachte Schriftnachricht ab und waren nun frei.

Morgen aber würden andere über den Orlis reiten.

Georg Keimel

Entnommen „Zwischen Spessart und Odenwald – Landkreis Obernburg“,
Unterfränkische Heimatbogen Heft 16, 1966