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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Wie der Strom nach Obernburg kam

Kaum vorstellbar ist heutzutage vielen Menschen ein Leben ohne Elektrizität. Strom ist bei uns im Alltag überall verfügbar, bei der Beleuchtung, in der Küche, am Arbeitsplatz oder im Verkehr. Unsere Vorfahren mussten vor etwas mehr als 100 Jahren noch ohne die Segnungen dieser Energie aus-kommen, aber in zaghaften Schritten hielt auch in Obernburg die Elektrizität ihren Einzug.

Zögerliche Entwicklung der Stromversorgung
Wer um 1900 den „Obernburger Boten“ an langen Winterabenden beim Schein ei-ner Kerze oder einer Petroleumlampe las, konnte erfahren, dass in den Groß-städten München oder Frankfurt schon ab 1894 elektrisches Licht Wohnungen und Straßen beleuchtete. Selbst die durch das Tonbergwerk reiche Stadt Klingenberg hatte 1898 ein Elektrizitätswerk in Betrieb genommen und versorgte ihre Bürger mit Strom.

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Darin sah am 24. März 1900 der damalige Besitzer der heutigen Kochsmühle (Untere Wallstraße) Leo Kneisl eine Chance und stellte an den Stadtmagistrat Obernburg ein Konzessionsgesuch für die Errichtung eines „Elektrizitäts-werkes für Licht- und Kraftstrom“ an seiner wassergetriebenen Mühle am Mühlbach.

Die Stadtbevollmächtigten lehnten das Gesuch aber wegen der hohen Belastungen durch den Brückenbau (1890) und dem gerade laufenden und 1901 in Be-trieb genommenen Wasserleitungsbau ab (Obernburger Blätter Nr. 5/2003). Zwei Jahre wollte die Verwaltung noch Erfahrungen sammeln.

Im Jahre 1905 unternahm Hein-rich Knecht, der aus Eisenbach stammend durch Kauf im Jahre 1888 Besitzer der bisherigen Mottmühle geworden war, einen erneuten Vorstoß.

Die Fotos zeigen die Kochsmühle vor und nach
der Renovierung

Alternativ wollte er selbst eine Stromerzeugungsanlage für die Versorgung der Stadt erstellen und auch eine Dampfmaschinenanlage zur Überbrückung bei wasserarmen Zeiten anschaffen. Auch dieses Mal lehnte der Stadtmagistrat das Ansinnen wegen des Baues der Knabenschule, der Kleinkinderbewahranstalt und wegen laufender Kanal- und Straßenbauarbeiten ab.

Der Müller Heinrich Knecht organisiert die Stromversorgung

2017_04_01 Heinrich Bonaventura Knecht ca 1912

Heinrich Bonaventura Knecht

2017_04_02 Hermann Dorothea Heinrich Richard Heinrich Franz Knecht ca 1895
2017_04_03 Knechtsmühle um 1920 mit Kamin

Die Knechtsmühle um 1920 mit dem Kamin der Dampfmaschine

Nun aber ergriff Heinrich Knecht selbst die Initiative und beschaffte sich ein Lokomobil (Dampfmaschine) mit einem Generator und Akkumulatoren.

Im Oktober 1906 gestattete der Stadtmagistrat schließlich dem zukünftigen E-Werkbetreiber Knecht den Bau eines Stromleitungsnetzes innerhalb der Stadt, allerdings sollte der Strom für die Brückenbeleuchtung als Konzessionsabgabe um-sonst geliefert werden.

Das „Gasthaus zum Hirschen“ (heute Spilgerhaus, Römerstraße 61) bestellte noch 1906 eine erste Beleuchtungsanlage bei Heinrich Knecht.

Es war schon etwas Besonderes, als eines Abends plötzlich die von grünen Zweigen umrahmten Glühbirnen den Biergarten erleuchteten, berichtete Josef Elbert, der spätere Löwenwirt.

Das Foto zeigt Hermann, Dorothea, Heinrich, Richard,
Heinrich Knecht ca. 1895

Der Stadtmagistrat musste für die Errichtung einer Schaltzentrale auf dem Rathausdach sein Einverständnis geben. Der Unternehmer Knecht ließ die nötigen Leitungen auf eigene Kosten erstellen. Da nun Strom in die ersten Häuser floss, verschlossen sich die Stadtväter der neuen Entwicklung nicht mehr. Fünf Bogenlampen sollten auf Kosten der Stadtkasse die Straßen an markanten Stellen beleuchten: An der Ecke Römer-/Juliusstraße, am Rathausplatz, Ecke Römer-/ Runde-Turm-Straße, Ecke Römerstraße/Obere Gasse und Ecke Mainstraße/ Pfaffengasse.

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Die Firma Brümmer und Nickl aus Bürgstadt bekam die Aufträge und spannte bis Frühjahr 1907 Leitungsdrähte zu den neuen Stromabnehmern.

Die Bogenlampen, die Obernburgs Straßen beleuchteten, hatten ihren Namen davon, dass ein brennender Lichtbogen zwischen zwei Elektroden aus Graphit zur Lichtquelle wurde. Weil aber die Kohlen während des Betriebs allmählich abbrennen, mussten die beiden Kohlestifte regelmäßig aufeinander zu bewegt oder erneuert werden.

Deshalb bekam Anton Hönlein 1909 den Auftrag, die 49 Straßenlampen für 50 Mark pro Lampe und Jahr in ordnungsgemäßem Zustand zu halten und die verrußten Gehäuse regelmäßig zu säubern. Dazu konnte man die Straßenlampen mit einer Zugvorrichtung herab lassen (im Bild oben sind die Zugseile deutlich zu sehen).

Immer mehr Obernburger Hausbesitzer kamen danach auf den Geschmack und verlangten nach den Errungenschaften der neuen Technik. Im Jahre 1908 beschloss der Stadtmagistrat unter Bürgermeister Eduard Deckelmann schließlich die Elektrifizierung städtischer Gebäude und der Mainbrücke, wobei zuerst nur die nötige Lampenzahl registriert wurde. So sollten die Mädchen- bzw. die Knabenschule mit 47 Lampen beleuchtet werden, das Lehrerwohnhaus mit 32 oder die Kleinkinderbewahranstalt mit 11.

Bald verlangten auch die Bewohner vieler Nebenstraßen eine öffentliche Beleuchtung und 29 neue Bogenlampen wurden bestellt. Nach dem Einbau der Beleuchtungsanlagen im Benefiziatenhaus (Mainstraße 1) und im Krankenschwesternhaus (Untere Gasse 32) waren die Anschlüsse in den stadteigenen Häusern im Januar 1909 fertig. Die Stadtkasse bezahlte dafür und für die Nebenstraßenbeleuchtungen den stattlichen Betrag von 7.447 Mark an den Elektriker Josef Nickl, der sein Geschäft inzwischen in Obernburg angesiedelt hatte. Auch die Pfarrkirche wurde im gleichen Jahr mit Licht versorgt.

Knecht bekommt die Konzessionierung für die alleinige Stromlieferung

2017_06_01 Knechtsmühle Plan

Heinrich Knecht bat alsbald den Stadtmagistrat um die schriftlich fixierte Konzessionierung als alleiniger Stromlieferant für Obernburg, da er inzwischen erhebliche Investitionen für die Stromerzeugung und das Stromnetz getätigt hatte.

Er bot dafür an, dass die Stadt nur 40 Pfennige statt der üblichen 45 Pf. für eine Kilowattstunde zu zahlen hätte. (Preisvergleich: Ein Ei kostete vier Pf., vier Kilogramm Brot eine Mark, der Stundenlohn eines Facharbeiters betrug max. 60 Pf.)

Die Gemeindebevollmächtigten akzeptierten gerne den Preisnachlass für die Stadt, zögerten jedoch mit dem Abschluss eines Konzessionsvertrages, denn die Gewerkschaft Gustav, eine Braunkohlezeche und Brikettfabrik in Dettingen, plante bereits 1908 den Bau eines Kohlekraftwerkes und den Bau einer Überlandleitung von Dettingen nach Klingenberg und warb um Stromabnehmer im Maingebiet. Schließlich schloss die Stadtverwaltung mit Heinrich Knecht einen zehnjährigen Konzessionsvertrag, der ihn vom 1. April 1909 bis zum 31. März 1919 zum alleinigen Stromlieferanten für das Stadtgebiet bestimmte. Als für die oberste Baubehörde im Jahr 1912 eine Statistik erstellt wurde, ergab sich, dass es für die 1735 Einwohner 134 Hausanschlüsse ans Stromnetz gab und 59 Lampen nachts brannten. Den Gleichstrom mit der Spannung von 110 Volt lieferte das Knecht‘sche E-Werk mit einer Turbine von max. 20 PS, einer Lokomobile mit 60 PS und einer Batterie, die drei Stunden Strom liefern konnte. Die im Jahr erzeugte Kilowattstundenzahl wurde mit 15.000 kWh angegeben, was dem durchschnitt-lichen heutigen Jahresverbrauch von drei bis vier Vierfamilienhaushalten entspricht.

Strom als Luxusgut
Strom als Lichtquelle oder gar als Kraftstrom war vor und nach dem Ersten Welt-krieg ein wahres Luxusgut. Nur ganz schwache Birnen mit 15 bis 60 Watt leisteten sich die Hausbesitzer für die Erhellung von Wohnräumen, Werkstätten oder Stallungen. Deshalb achtete der Hausvater rigoros auf den sparsamen Umgang mit der Elektrizität und schimpfte eindringlich, wenn eine „Festbeleuchtung“ von zwei oder drei Lampen angeschaltet war oder eine Glühbirne länger als nötig brannte. Elektrische Maschinen leisteten sich nur wenige Handwerker. Sie sollten aber nur während der hellen Tageszeit eingesetzt werden. Regelmäßig kamen die vier Buben der Familie Knecht, Heinrich, Hermann, Richard und Otto bei den Haushalten vorbei, lasen den Stromverbrauch ab und hoben den Stromzins ein.

Obernburg schließt sich der Überlandzentrale an
Bereits im Kriegsjahr 1916 erstellte die Regierung von Unterfranken Pläne zur überörtlichen Stromlieferung. Eine Überlandzentrale für das westliche Unterfranken sollte gegründet und als Energieerzeuger für „Licht und Kraft“ die Dettinger Braunkohlezeche Gustav eingesetzt werden. Wegen des Vertrags mit Heinrich Knecht, der 1913 verstorben war, bestand aber für Obernburg kein Bedarf an einem überörtlichen Stromlieferanten. 1920 versammelten sich die Bürgermeister des Bezirksamtes Obernburg im Obernburger Rathaus, um über die Pläne der flächendeckenden Elektrizitätsversorgung von Unterfranken informiert zu werden. Erschreckend hoch waren die in Aussicht gestellten Kosten für die Gemeinden.

Auch deshalb hielt die Stadtverwaltung unter Bürgermeister Heinrich Wörn am bisherigen Stromlieferanten fest, obwohl der Vertrag mit dem E-Werk Knecht bereits ausgelaufen war. Bis 1921 zogen sich die Verlängerungsverhandlungen mit der Witwe Dorothea Knecht hin, wobei eine neuerliche Vertragsdauer von 10 oder 15 Jahren und eine Preiserhöhung strittig waren. Nun kam es im Winter 1921/22 zu einer prekären Situation. Die Kohlenstelle des Bezirksamtes hatte für den Betrieb der Lokomobile nicht ausreichend Kohle zur Verfügung gestellt und die Wasserkraft reichte nicht für eine reibungslose Stromversorgung gerade in der Jahreszeit, wo Lichtstrom besonders gebraucht wurde. Das gab alsbald den Ausschlag, dass der Stadtrat sich mit Mehrheit zum Anschluss an die Überlandzentrale entschloss.

Bereits am 5. März 1922 unterzeichnete Bürgermeister Wörn den Stromlieferungsvertrag mit der „Kreis-Elektrizitätsversorgung Unterfranken AG“ (Kreis-Elektra AG oder kurz Kreis AG). Schon im September 1922 sollte sie Obernburgs Stromversorgung übernehmen. Allerdings hatten sich von den 460 Haushaltungen fast 100 noch nicht an das Stromnetz anschließen lassen. Im Frühjahr 1922 begannen der Bau eines Transformatorenturmes (in den heutigen Mainanlagen), die Überspannung des Maines mit einer Freileitung und der Anschluss an das überörtliche Hochspannungsnetz.

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Die Inflation überschattet den Ortsnetzumbau
Den Ortsnetzausbau übernahmen die Bayerischen Bergmannswerke aus Nürnberg, wobei von Gleichstrom auf Wechselstrom mit 220 Volt Spannung umgestellt wurde. Für Verärgerung von Stromkunden sorgte immer wieder, dass für bereits verlegte und bezahlte Hausanschlüsse nochmals Anschlussgebühren bezahlt werden sollten und Motoren umgerüstet werden mussten. Das vorher flickenartig angelegte Ortsnetz wurde erweitert und vervollständigt.

2017_08_03 Inflationgutschein

Die fortschreitende Inflation sorgte aber für ständig steigende Kosten. So verlangte die Installationsfirma im Sommer 1922 75 Mark Stundenlohn für einen Monteur, erhob aber bald 3.400% Teuerungszuschlag dazu. Die Strompreise erhöhten sich bei der rapiden Geldentwertung explosionsartig. So kostete im Januar 1923 eine kWh 410 Mark, im April 1.280 Mark, im August 500.000 Mark und im September 650.000 Mark. Im Oktober gab z. B. die Glanzstofffabrik aus Mangel an gesetzlichen Zahlungsmitteln Gutscheine aus, die Stadt druckte eigenes Notgeld.

Die Stromrechnung sollte monatlich bezahlt werden. Als im November 1923 die Inflationsrate ihren Höhepunkt erreichte, stellte die Reichsregierung die Währung um: Für eine Billion Mark bekam man eine Rentenmark (RM). Die Kreis AG verlangte nach massiven Protesten im Frühjahr 1924 eine monatliche Grundge-bühr für Lichtstrom bei drei Lampen von 0,80 RM, bei fünf Lampen von 1,20 RM, eine Bügeleisenpauschale von 1,10 RM und für jede verbrauchte Kilowattstunde 0,45 RM. Für Kraftstrom galt eine Grundgebühr für ein PS von 1,30 RM. Als im Jahre 1925 die Zeche Gustav bestreikt wurde, kam es zu massiven Störungen der Stromversorgung auch in Obernburg.

Neue Kraftwerke am Main
Im Juli 1929 baute die Kreis AG eine Überlandleitung mit 20.000 V vom Umspannwerk in Aschaffenburg nach Klingenberg, da die neu erbauten Kraftwerke an den Main-Staustufen angeschlossen wurden. 1935 erfolgte der Bau des Transformatorenturmes unterhalb des Römergässchens, weil die Obernburger Wohnbebauung sich nach Norden ausgeweitet hatte.

Der Strompreis verbilligte sich auf 0,36 RM pro kWh bei einem bestimmten Grundverbrauch, fiel aber auf nur noch 0,08 RM bei höherem Verbrauch. Allmählich hielten auch „stromfressende“ Elektrogeräte, wie Elektroherde oder Heizgeräte, in den Haushalten Einzug.

Hatte am Anfang der Obernburger Stromversorgung der Privatunternehmer Heinrich Knecht gestanden, unternahm ab 1922 die überregionale Kreis-Elektrizitätsversorgung Unterfranken AG die Stromlieferung und Verteilung. 1937 wurde daraus das Überlandwerk Mainfranken AG und 1947 das Überlandwerk Unterfranken AG.

Als nach der Fusion mit anderen bayerischen Stromversorgern die E.ON Bayern entstand und der Strommarkt liberalisiert wurde, wurde das Obernburger Stromnetz ab dem Jahr 2000 in das Netz der EZV Energie- und Service GmbH & Co.KG Untermain (vormals Energiezweckverband) integriert, dem der Ortsteil Eisenbach schon vorher angehörte.

Helmut Wörn

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