Als 1862 durch den Neubau des Gerichts- und Bezirksamtes die Frohnfeste (Gefängnis) der Stadt frei wurde, baute man dieses Gebäude im Stiftshof bis 1864 zur Kleinkinderbewahranstalt um. Nachdem eine Aufseherin gewählt und Statuten für die Institution erlassen worden waren, konnte die bescheiden einge-richtete Anlage am 11. September 1865 eröffnet werden. Cornelia Stoll von 1865-1867 und Karolina Weiler von 1867-1887 betreuten hier 60-80 Kinder. Ihre Vergütung betrug täglich 30-40 Kreuzer (ca. 1,20 Mark = ca. 0,60 €).
Auszüge aus den Statuten von 1865
Im Namen seiner Majestät des Königs
§ 1. Zweck der Anstalt ist, Kinder, deren Eltern durch ihre Berufsarbeiten oder aus irgendeinem anderen Grunde an der gehörigen Erziehung oder Beaufsichtigung gehindert sind oder sie ihnen nicht angedeihen lassen können, in sichere Aufsicht und Pflege zu nehmen.
§ 2. Die Hauptaufgabe der Anstalt ist, die Kinder an Reinlichkeit und Ordnung, an frommen Gehorsam, an Sittlichkeit und Tätigkeit zu gewöhnen, ohne dabei die freie und naturgemäße Entfaltung des jugendlichen Gemütes zu hemmen, den befindlichen Frohsinn zu verkümmern oder der Schule vorzugreifen. Hauptsächlich bleibt der Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen streng verboten. Die allgemeinen Vorschriften für diese Anstalten vom 17. Oktober 1839 müssen die Grundlage auch für diese Einrichtung der hiesigen Kleinkinderbewahranstalt bilden.
§ 3. Die Aufsicht über die Anstalt steht der königlichen Lokalschulinspektion, der Stadtverwaltung und dem Armenpfegschaftsrat zu. Sollte sich dahier ein Frauenverein gründen, so wird dessen Ausschuss ein Mitaufsichtsrecht eingeräumt.
§ 4. Nur gesunde Kinder und solche, welche in ihrer körperlichen Ausbildung soweit vorgeschritten sind, dass sie keiner besonderen Pflege mehr bedürfen, können in die Anstalt aufgenommen werden. In der Regel sollen die Kinder 2 1/2 Jahre alt sein, wenn sie aufgenommen werden und der Austritt erfolgt bei eintretender Schulpfichtigkeit.
§ 5. Ärmere Kinder haben bei der Aufnahme vor minder armen den Vorzug, ebenso auch Kinder solcher Eltern, deren Beschäftigungsweise ihnen die eigene Erziehung ihrer Kinder nicht wohl erlaubt.
§ 6. Die einmal aufgenommenen Kinder müssen die Anstalt täglich besuchen und verlieren durch öfteres unentschuldigtes Ausbleiben den Anspruch auf Benützung derselben.
§ 7. Die Kinder müssen im Winter morgens um 8 Uhr, im Sommer um 7 Uhr in reinlichen Kleidern und wohl gewaschen in der Anstalt erscheinen. Sie verlassen die Anstalt und müssen abgeholt werden: im Winter um 5 Uhr, im Sommer um abends 7 Uhr. An Sonntagen bleibt die Anstalt geschlossen, ebenso an Feiertagen.
§ 8. Für jedes Kind muss täglich 1 Kreuzer Aufsichtsgeld und wenn es über Mittag in der Anstalt verköstigt wird, für die Mittagskost 2 Kreuzer bezahlt werden. Diese Gelder müssen an jedem Montag für die folgende Woche der Aufseherin übergeben werden.
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