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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Katharina Märchtin, das Schicksal einer Hexe aus Obernburg

Lange war man der Meinung, der Hexenwahn habe in Obernburg keine Todesopfer gefordert. Ein im Staatsarchiv Würzburg aufbewahrtes Dokument beweist jedoch das Gegenteil.

Hexenturm Zeichnung 1927

Der Hexenturm auf einer Zeichnung von 1927

In den Büchern, Broschüren und Geheften, die sich mit Obernburgs Geschichte befassen, liest man nur wenig über das dunkelste Kapitel der beginnenden Neuzeit: die Hexenprozesse. Zwar besteht kein Zweifel darüber, dass es auch in Obernburg solche Prozesse gegeben hat, zumal einer der markanten Türme in der Altstadt „Hexenturm“ heißt und es auch eine „Hexenwiese“ gibt. Offenbar sind aber bisher keinerlei Dokumente veröffentlicht worden, die irgendwelche Hinrichtungen belegen würden. So entstand der Eindruck, in Obernburg hätten alle diesbezüglichen Prozesse mit Freispruch geendet: sowohl der Ochsenwirt als auch eine Frau, die man die „Fachengel“ nannte, seien zwar der Zauberei verdächtigt worden, schließlich aber wieder freigekommen.

Ein von Studiendirektor Friedrich Müller im Staatsarchiv Würzburg wieder entdecktes Dokument belegt jedoch, dass der Hexenwahn in Obernburg zumindest drei Todesopfer gefordert hat. Und vermutlich sind wir hier nur auf die Spitze eines Eisberges gestoßen!

Die Akte ist ein Rechtsbescheid („responsum“) der juristischen Fakultät Ingolstadt und als Antwort auf eine Anfrage aus Obernburg zu verstehen. Auf dem Titelblatt steht der Name der Angeklagten (Maerchtin, Katharina, von Obernburg) und das Datum 1642. Am Ende des Textes wird das Datum 26. Mai 1644 angeführt. Offenbar war also die Beschuldigte im Jahr 1642 verhaftet worden. Der Rechtsbescheid aus Ingolstadt traf jedoch erst zwei Jahre später ein. Unklar bleibt, ob die Professoren so lange für ihre Antwort gebraucht haben oder ob man erst Monate oder Jahre nach der Verhaftung um Rat nachsuchte.

Das Dokument besteht aus 24 in lateinischer Sprache eng beschriebenen Seiten. Am Rand wird das Wichtigste noch einmal kurz lateinisch und in enger Anlehnung an die Formulierungen im Text zusammengefasst. Dem Schriftbild nach könnten diese Randbemerkungen von einem zweiten Schreiber stammen, vielleicht also in Obernburg hinzugefügt worden sein, um einen besseren Überblick zu gewinnen. Der Satzbau, der Stil und die Argumentation des Textes sind nämlich sehr kompliziert und unübersichtlich, was durch die vielen Zitate juristischer Autoritäten, noch dazu in Abkürzungen, verstärkt wird.

Die Obernburger Hexenrichter hatten übrigens ihre Anfrage auf Deutsch geschrieben, was die vielen deutschsprachigen Zitate in unserem Dokument belegen.

Für die Historiographie Obernburgs hat das Dokument beträchtlichen Wert, denn zum Einen fällt es in eine sehr interessante Zeit (das Abebben der Hexenverfolgungen), zum Anderen nennt es mehrere der Hexerei verdächtigte Obernburger namentlich und wirft auch ein erhellendes Licht auf die Verfahrensweise beim Hexenprozess. Das Schicksal der Katharina Märchtin kann – wenn auch bruchstückhaft – aus ihm rekonstruiert werden.

Katharina Märchtin war im Jahre 1642 verhaftet worden. Die große Welle der Hexenverfolgungen in Unterfranken war zu diesem Zeitpunkt bereits vorbei: In den Jahren 1626 – 1630 hatten die Hexenverbrennungen in Würzburg, Bamberg, Eichstätt ihren grausigen Höhepunkt gehabt. Im Kurfürstentum Mainz, zu dem Obernburg damals gehörte, waren die Verfolgungen unter dem Kurfürsten Georg Friedrich von Greiffenklau, also in den Jahren 1626 – 1629 am schlimmsten. Auch kleine Ortschaften blieben vom Hexenwahn nicht verschont; so lassen sich auch für das benachbarte Wörth Todesopfer nachweisen.

In den dreißiger und vierziger Jahren des Jahrhunderts fand jedoch ein Umbruch statt, an welchem Friedrich von Spee, ein Jesuitenpater, maßgeblich mitwirkte. Als Beichtvater hatte er viele sogenannte Hexen zum Scheiterhaufen begleiten müssen und war dabei zur Überzeugung gelangt, dass die allermeisten der Verurteilten unschuldig seien. In seinem 1631 zum ersten Male erschienenen Werk „Cautio criminalis“ mahnte er dazu, die Hexenverfolgungen einzustellen. Seinem Einfluss ist es zu verdanken, dass Philipp von Schönborn, Kurfürst von Mainz und damit auch für Obernburg zuständig, als erster deutscher Fürst von den Hexenverfolgungen abließ. Daher endete auch der Prozeß gegen die bereits erwähnte „Fachengel“ (Frau des Leonhard Losanus) aus Obernburg, der ungefähr zehn Jahre nach der Anklage gegen die Märchtin begann, unblutig. Die Mainzer Behörden forderten die Obernburger auf, die Frau in Ruhe zu lassen.

Wie aber war die Lage in den Jahren 1642 – 1644 beim Prozess gegen Katharina Märchtin? Zu dieser Zeit war Gerhard Klöppner als Pfarrer in Obernburg tätig. Von ihm ist bekannt, dass er ein hartnäckiger Gegner des Hexenwahns war und von der Kanzel herab das Volk tadelte, welches seine Mitbürger als Hexen und Drudner (Zauberer) verdächtigte.

Offenbar war also zum Zeitpunkt des Prozesses gegen die Märchtin auch in Obernburg der Höhepunkt der Hexenverfolgungen bereits überschritten. Dafür spricht, dass den Obernburger Richtern offenbar Zweifel am eigenen Verfahrensmodus gekommen waren, so dass man bei den Ingolstädter Universitätsprofessoren um Rat nachsuchte. Sicherlich wollte man das eigene Handeln von berufener und kompetenter Stelle gerechtfertigt sehen, nachdem es irgendwie in die Schusslinie der Kritik geraten war. Hatte der Pfarrer die Hexenrichter wegen ihres grausamen Vorgehens gegen die Märchtin angegriffen? Oder hatte der Kurfürst Kasimir Warmbolt von Umstadt, der bis 1647 in Mainz regierte, Missfallen an den Methoden der Obernburger geäußert?

Immerhin wissen wir, dass schon unter seiner Regierung die Hexenverfolgungen stark zurückgingen. Normalerweise war ja gerade Mainz für solche Anfragen zuständig. Doch dorthin wendeten sich die Obernburger eben nicht. Das lässt darauf schließen, dass die Kritik von Mainz gekommen war oder aber, dass man zu Recht befürchtete, das eigene Handeln werde dort sicher nicht gutgeheißen. Warum jedoch ist es ausgerechnet die juristische Fakultät von Ingolstadt, wo man – und zwar im nachhinein! – anfragt, ob die Verhaftung der Katharina Märchtin und ihre Folterungen gerechtfertigt gewesen seien?

Die Universität Ingolstadt hatte für die Hexenprozesse in Bayern eine tragende Rolle gespielt. In einem von Kurfürst Maximilian angeforderten Gutachten hatten die Jurisprudenz- undTheologieprofessoren im Jahr 1590 vehement gefordert, die Hexen mit Eifer und Strenge zu verfolgen. Dabei hatten sie den „Hexenhammer“ als Fachliteratur empfohlen, jenes heutzutage berüchtigte Buch, in welchem die angeblichen Taten der Hexen und Drudner sowie die Vorgehensweise beim Hexenprozess bis ins scheußlichste Detail geschildert waren. Außerdem waren in Bayern die Hexenverfolgungen streng nach den Vorschriften verlaufen – was allerdings nicht heißt, dass die Angeklagten reelle Chancen hatten, dem Tod zu entgehen (das kann man auch gut im Fall der Katharina Märchtin sehen), sondern es hatte nur praktisch keine Übergriffe und eigenmächtige Handlungen durch die Henker und Folterknechte gegeben. Die Obernburger Richter, die im Fall der Märchtin also offenbar eine Rüge bekommen hatten, kalkulierten wohl so: In Ingolstadt wird man eine sehr strenge, aber an genauen Vorschriften und am „Hexenhammer“ orientierte Vorgehensweise gegen die Hexen vertreten. Die Chancen stehen also gut, dass man dort – im Unterschied zu Mainz – die Obernburger Methoden billigt.

Vor allem will man in Obernburg wissen, was nun weiter zu geschehen habe, also ob die Indizien für ein Todesurteil gegen die Märchtin ausreichen oder nicht. Zu diesem Zweck hatten die Obernburger in ihrer Anfrage genau beschrieben, weshalb sie die Frau verhaften ließen:

Zwei Dinge sind es, die Katharina Märchtin in den Verdacht der Hexerei brachten: zum Einen ein mysteriöser Vorfall in ihrem Leben, zum Anderen die Aussagen anderer der Hexerei angeklagter Personen. Letzteres war gleichsam das Perpetuum Mobile des Hexenwahns. Denn jeder, der (meist unter Folter) gestanden hatte, eine Hexe oder ein Hexer (Drudner) zu sein, musste in seinem Geständnis mehrere stereotype Punkte vorbringen. Dazu gehörte neben dem Teufelspakt, der Satansbuhlschaft, dem Schadenszauber (lat. maleficium, davon abgeleitet malefica = Hexe) und dem Eingeständnis der Blasphemie eben auch die Nennung von Komplizen. In ihrer Gewissensnot nannten viele Angeklagte solche Personen als Komplizen im Teufelsbund, die bereits als Hexen verurteilt und hingerichtet waren. Das genügte den Inquisitoren jedoch meist nicht. Aus Bamberg belegt der Brief des als Drudner (Hexer) verhafteten Bürgermeisters Junius an seine Tochter, wie hartnäckig man die Leute zwang, die Namen anderer „Hexen“ preiszugeben. Die Inhaftierten wussten genau, dass jeder, dessen Namen sie nannten, aller Warscheinlichkeit nach dem Tode geweiht war.

Wie schwer es diesen sogenannten „Hexen“ auf dem Gewissen lag, die Namen anderer, ebenso unschuldiger Menschen genannt zu haben, belegt ein Fall aus Dieburg. Dort hatte ein als Drudner angeklagter Mann namens Best Haun trotz harter Folter „nur“ vier Namen genannt und keinen einzigen darüber hinaus. Weil die Nacht kam, unterbrach man die Folter. Am nächsten Morgen entdeckte man, dass Best Haun Selbstmord verübt hatte. Wenn man schon Namen nennen musste, was lag da näher, als in seiner Not eine solche Person anzuzeigen, die sowieso in irgend einer Weise schon merkwürdig war.

So geschah es auch bei Katharina Märchtin. Aus dem Dokument geht hervor, dass zwei Obernburger, nämlich Jonas Ludwig und Maria Oberlein (= Oberle), beide der Hexerei angeklagt, bei ihren Verhören angaben, Katharina Märchtin sei bei der „zauberischen hochzeit“ dabei gewesen und habe „das hochzeit geschenk angenommen“ (S. 6). Das heißt nichts anderes, als dass die Märchtin den Teufelspakt eingegangen und dadurch zur Hexe geworden sei, denn nach der damaligen Überzeugung war die Annahme des Teufelsgeschenkes gleichbedeutend mit dem Eingehen des Teufelspaktes. Die Märchtin sei ferner anwesend gewesen bei „zauberischen zusammenkünften“ (S. 6), also letztlich an Schadenszauber beteiligt. Mit diesen Worten unterstellen Jonas Ludwig und Maria Oberlein der Märchtin, dass sie das Hexenwerk auch tatsächlich ausgeübt habe.

Als wichtigster Zeuge gegen sie fungiert jedoch ihr eigener Bruder. Auch er war der Hexerei beschuldigt und zum Tode verurteilt worden. Offenbar hatte er sich kurz vor seiner Hinrichtung (also nach dem Urteil, als eigentlich gar keine Notwendigkeit mehr bestand, Namen von „Komplizen“ zu nennen, denn neue Folterungen waren nicht zu befürchten) zu einer regelrechten Denunziationsorgie hinreißen lassen: Unser Dokument erwähnt gleich zweimal seinen Ausspruch, „das schwerdt nit feuren (fahren = fallen) ze lassen, es treffe gleich seine brüeder, schwester, gevatter und freundt“ (S. 8 und 10). Wir würden heutzutage hierin eher die Verzweiflung eines unschuldig Verurteilten sehen, der möglichst viele mit in den Tod reißen will. Der Bruder der Märchtin könnte aber auch das Opfer einer Art Gehirnwäsche geworden sein, das schließlich selbst glaubt, was ihm die Folterknechte suggeriert haben und sich in seinem gestörten Bewusstsein allenthalben von Hexen umgeben sieht.

Die Ingolstädter Juristen hielten jedenfalls sein Zeugnis für besonders schwerwiegend, weil ja der Bruder gegen die eigene Schwester ausgesagt hatte.

Und Katharina Märchtin stand ja schon geraume Zeit im Ruf, eine Hexe zu sein, und zwar „wegen ihres verlohrenen Kindes“ (S. 9). Es handelt sich dabei um einen merkwürdigen Vorfall, bei dem viele Fragen offen bleiben. Einige Zeit vor der Anklage hatte Katharina Märchtin ein Kind geboren. Da zwar von ihren Eltern die Rede ist (die auch in dieser Sache von Gerichts wegen befragt wurden), aber nicht von einem Ehemann, muss man annehmen, dass sie unehelich schwanger geworden war. Auch von daher passt sie ins Klischee von einer Hexe, denn der bereits erwähnte „Hexenhammer“ betont, die Hexen seien lüsterne Weiber, weshalb sie mit dem Teufel Unzucht trieben. Entweder war das Kind der Märchtin tot geboren worden oder kurz nach der Geburt gestorben. Merkwürdigerweise leitet man nun nicht die Bestattung auf dem für ungetaufte Kinder bestimmten Bereich des Friedhofs in die Wege, sondern das Kind wird in ein Gefäß gelegt (in der Akte „Hafen“ genannt, wie heute noch im hiesigen Dialekt (S. 15)) und im Stall verscharrt.

Katharina Märchtin gibt an, ihre Mutter habe das getan und sie sei an der Tür gestanden und habe zugesehen. Die Hebamme kommt offenbar erst später dazu. Sie gibt an, die Mutter der Märchtin habe sie in den Stall geführt und ihr gezeigt, wo das Kind begraben sei. Als man aber die Kindsleiche ausgraben will, findet man nur ein leeres, neues Gefäß. Man schließt daraus, die Angeklagte habe die Kindsleiche ausgegraben und zur Herstellung einer Hexensalbe benützt. Solcher Aberglaube war damals weit verbreitet.

Danach, so gibt die Hebamme an, sei sie ins Haus eines gewissen Hans Endrich gegangen und habe ihm das Vorgefallene erzählt. Darauf habe dieser sie gebeten, die Sache nicht bekannt werden zu lassen. Er verlangte von der Hebamme, man solle ein anderes Gefäß mit Hühnerblut und Hühnerteilen als angebliche Kindsleiche auf dem Kirchhof vergraben. Wie reimt sich nun diese merkwürdige Geschichte zusammen? Unser Dokument nennt ja nur die Fakten, die gegen die Angeklagte sprechen, denn die Obernburger Hexenverfolger möchten gerne aus Ingolstadt hören, dass die Verdachtsmomente für eine Verhaftung ausreichten. Was sie selbst zu ihrer Verteidigung vorgebracht hat, wird nicht erwähnt. So bleiben für uns heute mehrere Fragen offen:

1. Warum ist die Hebamme nicht schon zur Geburt anwesend?
     Warum kommt sie trotzdem später noch dazu?
2. Warum vergräbt die Mutter der Angeklagten das Kind zunächst im Stall, zeigt aber dann
     der Hebamme den Ort, wo die Leiche liegt und duldet, dass die Hebamme das tote Kind
     auszugraben versucht?
3. Welche Rolle spielt Hans Endrich? Warum dringt er darauf, die Sache zu vertuschen und
     statt der Kindsleiche Hühnergebeine auf dem Kirchhof zu begraben?
4. Warum läuft später der ehemalige Obernburger Bürger Hans Eubler vor das Haus der
     Märchtin und „begert“ von ihr „offentlich das verlohrene Kindt“ (S.14)?
     Ist er ein persönlicher Feind Katharinas?
5. Warum ist die Kindsleiche verschwunden?

Aus den im Dokument genannten Fakten lässt sich eine Geschichte rekonstruieren, wie es gewesen sein könnte – freilich ohne dass wir Gewissheit hätten: Katharinas vermutlich uneheliche Schwangerschaft endete vorzeitig mit einer Früh- oder Totgeburt, die vielleicht so rasch verlief, dass man die Hebamme nicht holen konnte oder aber wollte. In einer Art Panikreaktion vergräbt die Mutter Katharinas das tote Neugeborene im Stall, gleichsam als könne sie mit dem Beseitigen der Kindsleiche auch die unerwünschte, weil uneheliche Schwangerschaft ihrer Tochter ungeschehen machen. Unvorhergesehene Umstände, wie gesundheitliche Probleme der Katharina Märchtin (Blutungen?), machen es gleichwohl nötig, nach der Hebamme zu verlangen. Diese stellt natürlich sofort fest, dass Katharina Märchtin unlängst geboren hat und fragt nach dem Kind. Um die Sache nicht noch schlimmer zu machen, gibt die Mutter den Platz preis, wo sie die Kindsleiche vergraben hat.

Der dunkelste Punkt der Geschichte bleibt das Verschwinden der Leiche. Hat wirklich jemand Leichenschändung begangen, vielleicht gar, um Katharina Märchtin zu schaden? Hans Endrich dagegen scheint ein Freund der Märchtin gewesen zu sein. Er erkennt sofort, welche Gefahr von der mysteriösen Geschichte ausgeht und will sie daher vertuschen. War er der Kindsvater? Jedenfalls wird Katharina Märchtin seither „menigelich für ein Hex gehalten“ (S. 9). Als sie nun auf Grund der genannten Denunziation verhaftet und gefoltert wird, gibt sie zu, ihr Kind „seye ausgraben und zu ihrem hexenwesen misbraucht worden“ (S. 16, ähnlich auch S. 8). Offenbar gestand sie darüber hinaus noch alles, was man von einem Hexengeständnis erwartete.

Im Rechtsbescheid aus Ingolstadt wird nun ausführlich in Pro und Contra die Frage erörtert, ob Katharina zu Recht verhaftet wurde oder nicht und ob die Anzahl und das Maß der Folterungen rechtens waren. Davon hängt es nämlich ab, ob ihr Geständnis wertlos ist oder gültig. Alle Geständnisse mussten, der Constituio Carolina entsprechend, außerhalb der Folter bekräftigt werden. Normalerweise handelte es sich eher um einen Formalismus, als dass diese Leben gerettet hätte. Denn es ist bekannt, dass man – entgegen den Reichsgesetzen – in der Regel weiter folterte, wenn der Angeklagte sein Geständnis nach der Folter wieder widerrief. Daher rät der bereits genannte Friedrich von Spee den als Hexen angeklagten Frauen lieber gleich alles zu gestehen was man ihnen vorwerfe, da sie sowieso keine Chance hätten, lebend davonzukommen: „Törichtes, verblendetes Weib, warum willst du den Tod so viele Male erleiden, wo du es nur einmal zu tun brauchst? Nimm meinen Rat an, erkläre dich noch vor aller Marter für schuldig und stirb. Entrinnen wirst du nicht.“

Aus Bamberg weiß man sogar von einem Fall, wo der Angeklagte sein unter der Folter gemachtes Geständis „peinlich (d. h. unter neuer Folter!) ratifiziert“ hatte. Man scheute sich nicht einmal, solches ausdrücklich in die Akten zu schreiben!

Katharina Märchtin war, so befinden die Ingolstädter Juristen, zwar zu Recht verhaftet, aber in übertriebenem Maße gefoltert worden. Man hatte den sogenannten „Krebs“ angewandt und sie war mit Gewichten aufgezogen worden: „Sintemahlen die verhaffte durch den Scharffrichter ist eingewißen, gebunden, und sowohl am rechten als linken Schenkel drei und folgendds an beiden schenckhel sechsmahl beschraubt, fürterhin ausgeschraubt, ins Sayl gebunde, und anfangs zwar ohne, hernach aber zum andermahl mit angehangtem gewicht aufgezogen und also ... torquiert worden“ (S. 12). Insgesamt vierzehn! Mal (S. 16) hatte man sie ‚peinlich befragt’. Grund für die häufige Wiederholung der Folter ist, dass sie in zwei Verhören widersprüchliche Angaben gemacht hatte, denn nach der Constitutio Carolina rechtfertigen Widersprüche in der Aussage das wiederholte Anwenden der Folter.

Der Widerspruch in Katharina Märchtings Aussage ist folgender: Einmal gab sie zu Protokoll, sie sei „nit dabeigewesen“, als ihre Mutter das Kind im Stall vergrub. Später sagte sie, sie sei „unter der Küchenthür gestanden“ (S. 14). Uns kommen diese beiden Aussagen nicht sehr widersprüchlich vor, denn ‚nicht dabei gewesen zu sein’ kann man auch so verstehen, dass Katharina Märchtin nicht neben der Mutter stand und ihr half (ähnlich sagen heute noch Kinder: ‚Der war nicht dabei’ und meinen: ‚Der hat bei dem Streich nicht aktiv mitgemacht’), aber sehr wohl aus der Entfernung zugesehen.

Nach dem damaligen Verständnis rechtfertigten diese Aussagen also die erneute Anwendung der Tortur. Immerhin befindet man in Ingolstadt, die Folter sei der Aussagekraft der Indizien nicht angemessen gewesen, also zu hart, wenn nicht grausam („dure si non crudeliter torta“, S. 16). Das lang erwartete ‚freiwillige’ Geständnis außerhalb der Tortur könne also auf die Furcht zurückgehen, sie werde noch einmal so hart gefoltert. Das Zitat aus dem Obernburger Schreiben belegt übrigens, wie sehr man auf die im August 1642 erfolgte Bestätigung des unter Folter gemachten Geständnisses gewartet hatte: „daß die verhafte Catharina auf bewegliche zusprach endlich ... losbrochen“ (S. 20).

Das Juristenkollegium in Ingolstadt folgert nun, das Geständnis reiche noch nicht aus. Katharina Märchtin sei weder freizusprechen noch zu verurteilen („nec condemnendam nec absolvendam“, S. 23). Man solle warten, bis neue Verdachtsmomente auftreten, welche die Wiederholung der Folter (diesmal aber in angemessenem Maße: „modo iusto et legitimo“, S. 23) rechtfertigen. Falls sie dann ihr früheres Geständnis auch außerhalb der Folter bekräftige, solle sie in üblicher Weise erst erdrosselt und dann verbrannt werden („ultimo ignis supplicio, praecedente tamen consueta strangulatione afficiendam“, S. 23). Das entspricht der zeitgenössischen Praxis: Die Verbrennung bei lebendigem Leib war nicht üblich. Falls die Märchtin aber widerrufe, solle die Folter auf angemessene Weise („modo debito“, S. 23) wiederholt werden. Auf jeden Fall solle sie weiter gefangengehalten werden.

Offenbar haben wir es hier mit einem unserer modernen Rechtssprechung völlig fremden Mittelding zwischen Verurteilung und Freispruch zu tun: Gefängnis auf unbestimmte Zeit, bis die Schuld erwiesen ist. Denn an die Schuld der Katharina Märchtin glaubt man auch in Ingolstadt, wie schon die sprachliche Formulierung verrät („Dum nova ... indicia superveniant“ – finaler Sinn des „dum“ m. Konjunktiv). Außerdem zieht man die Möglichkeit, ihre Unschuld werde erwiesen, noch nicht einmal in Betracht: falls sie nicht gesteht, soll sie weiter gefoltert werden. Die Ingolstädter Juristen erörtern den Fall außerordentlich gewissenhaft und führen zahlreiche juristische Autoritäten an. Dass dieses formal äußerst korrekte Vorgehen der Bayern den als Hexen angeklagten Personen keinen Vorteil brachte, sieht man im Fall der Katharina Märchting. Denn ob sie wirklich eine Chance hatte, ihren Prozess zu überleben, ist fraglich. Wie bereits erwähnt, wurde jeder der Hexerei Angeklagte nach Komplizen gefragt. Warum sollte ein anderes Opfer des Hexenwahns gezögert haben, eine Person zu nennen, die bereits verhaftet war – also Katharina Märchtin?

Aus unserem Dokument wissen wir, dass schon vor Katharina Märchtin Obernburger Bürger als Hexer und Hexen angeklagt worden waren. Und wir wissen, dass auch nach Katharina Märchtin noch Leute desselben Verbrechens beschuldigt wurden, wie z. B. die Fachengel. Ob Katharina Märchtin damals, also zehn Jahre später, noch lebte, wissen wir nicht. Nur der späte Zeitpunkt des Prozesses (als ringsum die Hexenverfolgungen bereits zum Erliegen gekommen waren) und die Tatsache, dass man in Obernburg plötzlich unsicher wurde, richtig gehandelt zu haben (weshalb man um das Ingolstädter Gutachten ersuchte) lassen die Vermutung zu, Katharina Märchtin könnte eventuell als Hexe hingerichtet worden sein. In diesem Falle hätte sie aber – den Anweisungen aus Ingolstadt gemäß, die in Kurzform übrigens auf das Titelblatt unseres Dokuments geschrieben sind – ihr Leben im Kerker beendet.

Auf jeden Fall beweist unser Dokument, dass auch in Obernburg Menschen als Hexer und Hexen hingerichtet wurden. Vom Bruder der Märchtin ist expressis verbis erwähnt, dass er hingerichtet und verbrannt wurde („ex proprii fratris ex eodem crimine combusti et palam protestantis confessione“, S. 4, ähnlich S. 8). Ferner erwähnt der Text zwei weitere Bürger namentlich, nämlich Jonas Ludwig und Maria Oberlein (S. 6), die als Zeugen gegen Katharina Märchtin fungierten und selbst der Hexerei angeklagt waren. Sowohl in Obernburg als auch in Ingolstadt misst man den Aussagen dieser beiden Personen großes Gewicht bei. Das kann man aber natürlich nur, wenn ihre Geständnisse (denn in diesem Rahmen sind ihre Anschuldigungen gegen die Märchtin zu sehen) für rechtsgültig erachtet wurden. War dies aber der Fall, dann mussten beide zwangsläufig wegen Hexerei zum Tode verurteilt worden sein.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es in Obernburg entgegen der bisher verbreiteten Ansicht zweifelsfrei mindestens drei Opfer der Hexenverfolgung gegeben hat. Vermutlich aber ist unser Dokument nur die Spitze eines Eisbergs.

Ob Katharina Märchtin selbst ihr Leben durch den Hexenwahn verloren hat, wissen wir nicht. Bezüglich des Ortes ihrer Gefangenhaltung hatten die Ingolstädter Professoren genaue Vorschriften gemacht: er solle gesund, nicht feucht, nicht kalt und nicht unterirdisch sein (S. 23). All dies würde auf den eingangs erwähnten „Hexenturm“ zutreffen. Es spricht also alles dafür, dass dort das Gefängnis der Katharina Märchtin gewesen ist.
 

Margit Kuhn
Auffindung des Dokuments und Umschrift durch Friedrich Müller

Hexenturm von Unteren Tor aus gesehen,
rechts Rest der alten Stadtmauer