Ein fast vergessenes Handwerk - Der Heimschneider
„Es war einmal“, so beginnen viele Märchen, und sie haben meistens einen guten Ausgang. „Es war einmal“ auch ein sehr verbreiteter und beliebter Beruf, der gerade in unseren Breiten vielen Menschen Lohn und Brot gebracht hat: Gemeint ist das ehrbare Handwerk des Heimschneiders – früher ein angesehener und gerne erlernter Beruf, heute jedoch so gut wie ausgestorben. Deshalb mutet sein Schicksal aus heutiger Sicht wie ein Märchen an, nur nicht mit gutem, sondern fatalem Ausgang.
Nach den Ursachen muss man nicht lange suchen: Zunächst erfolgte die Verlegung der Heimschneidertätigkeit direkt in die Kleiderfabriken (Einführung der Bandarbeit), dann kam (aus Kostengründen) die Verlagerung der Produktion ins europäische Ausland, dann änderte sich der modische Geschmack der westlichen Damen- und Männerwelt von klassischer zur eher legeren und saloppen Kleidung mit Verlagerung der Fertigung überwiegend in fernöstliche Länder wegen der im Gegensatz zu den bei uns wesentlich höheren, dort aber skandalös geringen Arbeitslöhnen der Beschäftigten.
Über das Für und Wider oder die Frage, warum dies so war, ließe sich lange streiten, was aber nicht Aufgabe der vorliegenden Zeilen sein soll. Hier soll eher der Beruf des Heimschneiders in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg näher beleuchtet werden.
Schneider war ein Lehrberuf mit Berufsschulpflicht, Gesellenprüfung und, wer Lehrlinge ausbilden wollte, Meisterprüfung (es gab hierfür aber auch Ausnahmen). Wollte jemand beruflich noch weiterkommen, konnte er sich an einer Hochschule zum Textilingenieur ausbilden lassen, was aber die Hochschulreife voraussetzte.
Wer sich nicht auf die Maßschneiderei festlegen wollte, d.h. als selbständiger Schneider nach mehrmaligem Maßnehmen am Kunden ein fertiges Stück, z.B. einen kompletten Anzug, zu fertigen, wurde als Heimschneider Mitarbeiter einer der vielen Kleiderfabriken, die es nach dem Kriege in unserer Region zuhauf gab.
Zur Erinnerung seien die bekanntesten im damaligen Stadtbereich von Obernburg genannt, nämlich Giegerich auf der anderen Mainseite (heute Baywa-Lager), Vad & Frey (zuerst Römerstraße neben Gasthaus „Ochsen“, dann Johannes-Obernburger-Straße, heute Sozialkaufhaus) und Weidenmann (im Weidig, heute Kuka). Bekannte Namen in Aschaffenburg waren z.B. Euler, Vordemfelde, Desch und Weidenmann.
Daneben gab es am Untermain kaum einen Ort, in dem keine Kleiderfabrik ihren Sitz hatte. Deren Namen sind den älteren Lesern sicherlich noch heute geläufig.
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