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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Erinnerungen an die heimatliche Kreisstadt Obernburg

Damals sprach Vater zu mir, dem Siebenjährigen: “Morgen darfst du mit nach Obemburg, und da kannst du den Main und die Eisenbahn sehen!" Wir schritten dann auch am nächsten Tag über den “Kreuzbuckel" — so genannt, weil die Sommerauer Markusprozession über diesen Hügel zum  Kloster Himmelthal wallt — und im Vorbeigehen sah ich etwas ängstlich nach der Himmelthaler Klosterscheuer hinüber, wo eine eingemauerte Steinplatte gemäß der Sage die Gestalt des Teufels zeigt, wie er eine  ungehorsame, weltsüchtige Nonne umkrallt. Bald hatten wir das durch seinen feuerfesten Ton bekannte Dörflein Schippach hinter uns, nahmen den Weg durch den “Forst" und kamen an den Dammswiesen vorüber.

Da erzählte Vater vom Hirtenjörg, der in dieser Gegend einst sein Unwesen trieb und gar manchen ahnungslosen Wanderer niederschlug und  ausplünderte. Es währte lange, bis der sich als Biedermann verstellende Schafhirte entlarvt und der gerechten Strafe zugerührt werden konnte. Weil der Straßenräuber sein verbrecherisches Handwerk jahrelang  unentdeckt zu betreiben vermochte, schrieb ihm das einfache Volk die Gabe des Unsichtbarmachens zu. Die Heimatsage berichtet, der Hirtenjörg habe nachts einen Finger seines toten Kindes wie ein Kerzenlicht  angezündet, und dieses Licht hätte ihn unsichtbar gemacht, so dass die Überfallenen und Ausgeraubten den Täter nicht erkannten. Sie sahen bloß das Lichtlein im Dunkeln schweben, aber den wegelagernden Elsenfelder  Schäfer erblickten sie nicht.

In Elsenfeld erregte “Sankt Nepomuk auf der Brück" meine kindliche Neugierde, und bald danach trat ich vorsichtig über das Gleis der  Bahnstrecke Miltenberg - Aschaffenburg. Hier sah man schon den Main breit und behäbig zwischen flachen, schilfbewachsenen Ufern dahingleiten. Eine “Mainkuh" lärmte flussauf und ich beobachtete staunend, wie  flink sich der lange, schwarze Schiffsrumpf an der dicken, rasselnden Kette vorwärts bewegte. Nach links und rechts ausspähend schlenderte ich über die mir so mächtig dünkende Brücke und lugte da und dort in die  Tiefe, wo sich der Strom verschlafen und träge talein wälzte. Der “Kettenschlepper" passierte jetzt gerade einen Brückenbogen und zog einen Schweif beladener Schiffe hinter sich her. Wie gering war doch um 1890  der Fuhrwerksbetrieb über die Obernburger Brücke! Einige grüne Leiterwägelchen klapperten uns entgegen und die Chaise des Bezirksamtmanns rollte an uns vorbei. Das war der gesamte Wagenverkehr, indes ich über die  Brücke trollte. An ihrem jenseitigen Ende guckte der Zolleinnehmer gelangweilt aus einem niedlichen Backsteinhäuschen und reichte dem Vater nach der Entrichtung von drei roten Pfennigen einen Zettel hin, den ich mit  meinem Abc-Schützen-Können geschäftig zu entziffern versuchte.

Im hellen Mittagsstrahl blickte und blinkte das Städtlein heran. Voll Freude und Spannung, voll glückseliger Erwartung setzte ich zum ersten  Mal den Fuß auf das Pflaster der heimatlichen Bezirksstadt. Der Vater führte mich zunächst ein Stück Weg an der schäumenden Mümling entlang, die mir viel wilder und reißender erschien als unser lieblicher,  murmelnder Elsavabach.

Wir bogen dann ins malerische Gassengewinkel ein, bewunderten Türme und Tore, die Umfassungsmauern und inmitten der Stadt vor allem das  schöne Rathaus. Ich überhäufte den Vater mit Fragen, die er begreiflicherweise nicht alle zu beantworten vermochte.

Nach dem längeren Rundgang kehrten wir in der Gastwirtschaft “Zum Ochsen" von Eduard Deckelmann ein. Der Metzgermeister und Wirt versah  in jenen Jahren auch das Bürgermeisteramt und genoss weit und breit großes Ansehen. Die älteren Obernburger werden sich des hochgewachsenen, kernhaften Mannes noch erinnern, dessen Wort nicht nur in der Kreisstadt,  sondern auch in ganz Unterfranken Klang und Gewicht hatte. Der gute Wirt stellte einen Teller mit zwei würzigen Knoblinen und einem Wasserstöllchen vor mich hin und brachte damit meine Bubenseligkeit auf den  Höhepunkt. Während sich der gesprächige Mann mit meinem Vater unterhielt, betrachtete er mich lächelnd, und als die eifrigen Kaumuskeln den letzten Wurstzipfel verschwinden ließen, fragte er: “Na, Junge, habt ihr  neulich an Ostern auch tüchtig mit ,Haseneiern' gepickt?" Ich schaute den Gastwirt verständnislos an. “Gepufft!, sagt man bei uns", ergänzte der Vater. Ah, jetzt wußte ich, was Bürgermeister Deckelmann  meinte, und nickte fröhlich: “O ja!" “In Obernburg gehen die Buben zum Eierpicken hinunter auf die Hohlwiese", fuhr der Ochsenwirt fort. “Und bei uns auf die Brunnenwiese!" platzte ich heraus. Die  ländliche Schüchternheit, die mich vorher noch beengt hatte, war nun weg, und ich erzählte dem Obernburger Bürgermeister Deckelmann von dem Ostertreiben der Jugend im Elsavatal: vom Bierwerfen, Eierschwimmen und  “Puffen". Beim Puffen schlugen wir mit den Eiern spitz auf spitz, stumpf auf stumpf und Seite auf Seite. Ich berichtete auch, daß Müllers Edmund mit dem roten Stopfei seiner Mutter zugeschlagen hatte und  deswegen von den Buben verprügelt wurde.

Der kinderfreundliche Bürgermeister lachte hellauf und meinte: “Hm, wir waren ja auch einmal Buben!" Und er sah dabei meinen Vater  belustigt an. Hierauf sagte er ernster: “Hört, kommt doch einmal zum Sankt-Anna-Tag nach Obernburg! Da ist es bei uns besonders feierlich und schön.

Wir versprachen es und verließen die gastliche Stätte, um den Heimweg anzutreten. Auf der Elsenfelder Seite, an der Station, fand ich noch  Gelegenheit, einen Zug ein- und ausfahren zu sehen, damals für einen Spessartbuben ein seltenes Erlebnis. Wie viel gab's dann zu Hause der Mutter zu erzählen!

Valentin Pfeifer, aus Spessart, Sondernummer Obernburg a.M., im Mai 1953