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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Haus Wörn in der Mainstraße

Das 100. Jahr der Entstehung kann in diesem Jahr das gründerzeitliche Bürgerhaus der Familie Wörn in der Mainstraße feiern. Hoch über der Straße kündet die Zahl 1900, gemeißelt in zwei Dachgesimse, vom Baujahr dieses markanten Gebäudes, das jedem ins Auge fällt, wenn er vom Brückensteg her Obernburg betritt. Zwei Jahre lang sanierte der jetzige Besitzer Helmut Wörn dieses Einzeldenkmal mit seinen reichen Sandsteinornamenten. Seit Beginn des neuen Jahres bewohnt er mit seiner Familie sein Elternhaus, das nunmehr auf die Geschichte eines Jahrhunderts zurückblickt.

Früheres Gasthaus “Zum Engel”
Am “Gänserain”, wo vorher der Fachwerkbau des Gasthauses zum Engel stand, erbaute der Gerbereibesitzer und Gastwirt Heinrich Wörn vor 100 Jahren ein großzügiges Wohn- und Geschäftshaus. Nach den Plänen des Aschaffenburger Architekten Reichard erstellte die Baufirma August Schnatz den Bau im Stil der Gründerzeit. Das repräsentative Gebäude soll etwa 40 000 Goldmark gekostet haben. Schon 1885 hatte Heinrich Wörn als Zweiundzwanzigjähriger die Verantwortung für die elterliche Gerberei übernehmen müssen, als sein Vater Josef Ulrich an den Folgen eines betrieblichen Unfalls gestorben war. Zunächst baute er im rückwärtigen Gartengelände neue Gerbgruben, verschiedene Werkstätten und ein Dampfmaschinengebäude mit Kamin. Im Jahre 1888 musste nämlich das frühere Betriebsgebäude am Mühlbach (unterhalb des heutigen Brückenstegs) dem Brückenbau weichen. In dieser Zeit wurde auf dem Fabrikgelände an der Mainstraße die Nordostecke des römischen Kastells von Kreisrichter Conrady lokalisiert. Auch einige Altarsteine aus der Römerzeit kamen bei Grabungsarbeiten wieder ans Tageslicht. Als 1893 Heinrich Wörn die Westfälin Wilhelmine Braukhoff heiratete, reiften offensichtlich Pläne, das alte Gasthaus zum Engel abzureißen und ein neues Gebäude zu errichten. Im Jahre 1900 konnte er mit seiner größer gewordenen Familie in den Neubau einziehen.

Höhen und Tiefen im Jahrhundert
Das Gründerzeithaus war Zeuge wirtschaftlicher Entwicklungen des vergangenen Jahrhunderts. Hatte das Kaiserreich dem damaligen Bauherrn großen Wohlstand beschert, so brachten der verlorene 1. Weltkrieg 1918, die Inflation 1923 und die Weltwirtschaftskrise 1932 eine wirtschaftlich unsichere Zeit. Zwangsabgaben für das Reich, haufenweise Inflationsgeld und viele unbezahlte Rechnungen zeugen auch heute noch von den damaligen Sorgen des Lederfabrikanten. Erst die Aufstellung der Wehrmacht brachte ab 1935 wieder sichere Aufträge für die ca. 10 Mitarbeiter. 1936/37 konnte deshalb ein neues Extraktionsgebäude errichtet werden. Auch die Dampfmaschinenausrüstung wurde verbessert und das Büro aus dem Gründerzeithaus verlagert. Im 2. Weltkrieg gab es als Zwangverpflichtung viele Aufträge zur Sohlenherstellung für Wehrmachtsstiefel. Der Krieg endete ohne größere Schäden am Haus und an der Fabrik. Leder war auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein knapper und gefragter Artikel.

Eine jähe Wende für das Unternehmen brachte jedoch der Lastenausgleich 1948, als Vermögensbesitzer ohne Kriegsschäden eine 100%ige Vermögensabgabe für die Kriegsgeschädigten aufzubringen hatten. Außerdem sorgte der Gummi als dauerhafte Schuhbesohlung für einen Preisverfall bei Sohlenleder, so dass in den fünfziger Jahren trotz einiger Verbesserungen bei den Produktionsmethoden die Lederfabrikation unrentabel wurde. 1966 musste der Sohn des “Gründers” Heinrich Wörn jun. schweren Herzens die Gerberei schließen.

Haus war Wohnort vieler Menschen
Hatte der Erbauer des Hauses, der spätere Bürgermeister und Kommerzienrat, Heinrich Wörn das geräumige Haus zunächst mit Ehefrau und seinen sechs Kindern selbst bewohnt und die unteren Räume als Büro und Geschäftsräume benutzt, stellte er im 1. Weltkrieg 1914 bis 1918 zwei Räume für ein Notlazarett zur Verfügung. Seine Frau Wilhelmine kümmerte sich derweil als Mitarbeiterin beim Roten Kreuz um die eingelieferten verletzten Soldaten. Dramatisch änderte sich im 2. Weltkrieg 1939-1945 und in der Nachkriegszeit die Wohnungssituation im Hause Wörn.

Evakuierte aus dem Rheinland wurden amtlicherseits eingewiesen, ein französischer Kriegsgefangener fand Aufnahme und ausgebombte Familienangehörige aus Köln und Dresden suchten Zuflucht im Haus in der Mainstraße. Ab 1946 bewohnte eine sudetendeutsche Großfamilie, die aus ihrer Heimat vertrieben worden war, unter äußerst beengten Verhältnissen das Dachgeschoss. Eine Beamtenfamilie teilte mit der jungen Familie Wörn die Räume im Erdgeschoss. In diesen allgemeinen Notjahren mussten sich bis zu 30 Personen ein Bad und drei Toiletten teilen. 1954 verstarb Wilhelmine Wörn, ein Jahr später der Bauherr Kommerzienrat Heinrich Wörn im hohen Alter von 92 Jahren. In dieser Zeit verbesserte sich die Wohnungsituation, weil viele Bewohner des Hauses andere Wohnungen fanden und die Beengtheit verließen. Als der praktische Arzt Dr. Burkhard Aschberg 1954 in das Erdgeschoss einzog und dort fast 30 Jahre seine Praxis führte, wurde das Wörn‘sche Haus vielen Patienten aus Obernburg und Umgebung zur Anlaufstelle.

In diesen Jahren sah das Gründerzeithaus auch den letzten Spätheimkehrer Erich Zuleger, der 10 Jahre  nach Kriegsende aus tschechischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurde und endlich seine Familie wiedersehen durfte.

Alte Familientradition
Nach dem Tode ihres Mannes übernahm 1978 Hilde Wörn das Anwesen in der Mainstraße. Erste Überlegungen über die Zukunft wurden angedacht. 1989 ließ Helmut Wörn alle Gerbereigebäude einreißen und gestaltete in den Folgejahren das Fabrikgelände gärtnerisch um. Ab 1997 erfolgte auch eine gründliche Sanierung und Modernisierung des Hauses, wobei die denkmalsgeschützte Fassade zur Mainstraße hin unverändert blieb. Helmut Wörn nahm mit seiner Übersiedlung von Großwallstadt in sein Elternhaus eine Familientradition wieder auf, wonach seit 1834 die Familie Wörn in der Mainstraße wohnt. Der Urahne Friedrich Ulrich Wörn hatte 1812 vom württembergischen Weil im Schönbuch den napoleonischen Russlandfeldzug mitgemacht, wanderte später als Gerbersgeselle an den Untermain und heiratete 1834 die Gastwirts- und Gerberstochter Sophie Helm in der damaligen Maingasse. Lange Zeit war er einer der wenigen evangelischen Christen in Obernburg, bevor er dann zur katholischen Konfession konvertierte.

Helmut Wörn