hvvlogosw

Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

Inhaltsverzeichnis

Startseite

Vereinsziele, Vorstand

Vereinsgeschichte

Obernburger Geschichte/n

Römische Geschichte/n

Bauwerke und Gebäude

Persönlichkeiten

Mundart

Aktivitäten

Tanz- und Kostümgruppe

Links

Impressum

Beitrittserklärung

banner_hvv

Haus Römerstraße 41

Als wir im September 1998 das Wohn- und Geschäftshaus in der Römerstraße 41 erwarben, war nicht abzusehen, was uns in den kommenden Jahren erwarten würde. Wir planten eine einfache Instandsetzung, um eine zeitgemäße Nutzung des Hauses zu ermöglichen. Die einfach verglasten Fensters sollten solchen mit Isolierglas weichen, und die antiquierten Ölöfen in jedem größeren Raum wollten wir durch eine Zentralheizung ersetzen.

Doch schon bei der ersten näheren Beschäftigung mit unserem “Objekt” zog es uns in seinen Bann. Wir berieten und mit dem Landesamt für Denkmalpflege und gaben eine Befunduntersuchung bei einem Restaurator in Auftrag.

Das Alter
Die erste Frage die uns beschäftigte war, wie alt ist das Haus wirklich? Ein Wertgutachten der Verkäufer schätzte es auf die Zeit um 1600. Auch der Restaurator ging von diesem Alter aus. Wir trugen uns mit dem Gedanken, ein dendrochronologisches Gutachten anfertigen zu lassen. Dabei wird anhand der Jahresringe des Bauholzes auf das Jahr genau ermittelt, wann das Holz geschlagen wurde. Die unterschiedlichen Klimaverhältnisse schlagen sich in der Breite der Jahresringe nieder und machen so jeden Baum zu einem Kalender der Geschichte.

Wenn man weiß, wann das Holz geschlagen wurde, kennt man auch das Baujahr. In der Regel wurde nämlich zum Bau eines Fachwerkhauses frisches Holz verwendet. Es wurde im Winter geschlagen, dann auf dem Zimmerplatz zurecht gesägt und im nächsten Sommer aufgebaut. Bevor es seinen endgültigen Standort erhielt, wurden die Verzapfungen der Hölzer gefertigt und die einzelnen Wände zusammengesetzt. So musste das Fachwerk an seinem späteren Standort nur noch “zusammengesteckt” werden.

Durch einen Zufall blieb uns das teure Altersgutachten doch noch erspart. Als wir im Hausflur begannen, den ursprünglichen Putz freizulegen, tauchte über der Tür zum heutigen Friseurladen in einer sehr schön verschlungenen Schrift die Zahl 1595 auf. Das war das Baujahr! Leicht ergänzt, zeigt sich die Zahl heute wieder dem aufmerksamen Besucher.

Das ursprüngliche Aussehen
Wie hatte dieses Haus wohl kurz nach dem Bau ausgesehen? Das Gutachten des Restaurators gab darauf erste Antworten: “Fachwerksichtigkeit innen und außen” hieß es darin. Das Fachwerk, das aus Eichenbalken besteht, war also nicht verputzt. Darauf weisen auch die profilierten Unterzüge sowie der reich mit Schnitzwerk dekorierte Eckbalken vorn zur Straße hin. Allerdings war das Fachwerk in späteren Jahren vorübergehend zugeputzt gewesen. Das ist daran zu erkennen, dass die Balken mit gebeilten Kerben versehen sind, die dem Putz Halt geben sollten. Auch war leider bei einigen Unterzügen das Holzprofil teilweise weggeschlagen worden.

Hinweise auf die ursprüngliche Farbigkeit erhielten wir zunächst innen. An einigen kleinen “Fenstern”, die der Restaurator im Putz anlegte, trat die ursprüngliche Putzschicht mit der Originalbemalung zu Tage. Darüber lagen Schichten aus Lehmputz, der mit Tierhaaren versetzt worden war, mindestens zehn Lagen Tapeten aus dem vergangenen Jahrhundert, die sich anhand mehrerer Schichten alter Tageszeitungen sehr schön datieren ließen und obenauf die vier- oder fünfmal gestrichene Rauhfaser-Tapete.

Das Ergebnis: Die Gefache waren mit einer weißen Kalkfarbe gestrichen. Die Balken waren grau. Graue und weiße Fassung waren durch einen etwa einen Zentimeter breiten Strich getrennt.

Die Balkenfarbe wurde seitlich über den Balken hinaus gezogen. Das ist der sogenannte “Begleiter” – ein Streifen neben den Balken mit der gleichen Farbe. Er diente früher dazu, die Balken optisch breiter zu machen und Krümmungen zu überdecken. Breite Fachwerkbalken galten wohl als eine Art Statussymbol. Und wenn sie dem Bauherren nicht breit genug waren, half man mit Farbe etwas nach. Deshalb ist der Begleiter ursprünglich auch immer in der gleich Farbe wie das Holz. Erst später entwickelte er wohl eine gewisse Eigenständigkeit, weshalb man auch in Obernburg eine Reihe Fachwerkhäuser findet, bei denen Balken und Begleiterfarbe unterschiedlich sind.

Im Flur des Hauses sind einige Putzflächen noch mit der ursprünglichen Farbe so erhalten, wie sie 1595 gefertigt wurden. Sie wurden freigelegt. Heute setzen sie sich schön von den Flächen ab, die nach dem alten Vorbild ergänzt wurden. Dabei verwendeten wir die gleichen Naturmaterialien wie die Baumeister vor 400 Jahren: einen Lehmputz als Untergrund (allerdings mit Stroh statt mit Tierhaaren), einen dünnen Kalkputz darüber und  weiße Kalkfarbe. Das Schwarz und das Grau wurden erzielt, indem Birkenholz-Asche zugesetzt wurde. Hierbei zeigten die Maler Christopher und Gerald Betzwieser aus Miltenberg sowie ihre Mitarbeiter die ganze Kunst ihres Handwerks! Diese Farbfassung ist an verschiedenen Stellen im Innenraum erhalten – neben dem Flur auch im ersten und zweiten Obergeschoss.

Aber wie war das Haus außen gestrichen?
Der Literaturstudium gab erste Hinweise: Die Häuser des Mittelalters und der Renaissance unterschieden nicht so sehr zwischen innen und außen. Was sich innen abspielte, war ebenfalls Teil des öffentlichen Lebens – ganz anders als heute. Bei vielen Häusern dieser Zeit konnte man deshalb auch nachweisen, dass sie innen und außen in der gleichen Farbe gestrichen waren. Hatte das Haus also graue Balken? Des Rätsels Lösung eröffnete sich in dem um die Jahrhundertwende gebauten Anbau auf der Rückseite, der sich über drei Stockwerke erstreckt hatte und den wir später abrissen. An den Innenwänden, die vor dessen Errichtung außen lagen, gingen wir auf Spurensuchen. Und tatsächlich: Zumindest an einigen Stellen waren auf den Balken Reste der alten Graufassung zu erkennen. Die Balken waren also grau, und es lag auf der Hand, dass auch die Gefache außen und innen gleich waren. In der Farbe, in der sich das Haus heute präsentiert, war es auch vor 400 Jahren gestrichen worden.

Das gilt zumindest für den oberen Fachwerkteil. Wie der Sockel früher aussah, wissen wir leider nicht. Fest steht allerdings, dass auch die Sandsteingewände der Türen und Fenster des Erdgeschosses grau gestrichen waren. Als die Maler bei der Renovierung den roten Sandstein so wie früher, also grau anstrichen, ernteten sie jedoch Proteste von zahlreichen Passanten.

Aber man muss sich wohl von den heutigen romantischen Idealvorstellungen lösen, wenn man der Wirklichkeit näher kommen will. Die Farben der Natur waren den Menschen allgegenwärtig und nichts besonderes. Als schön galt, was von Menschenhand verändert war. Und so war früher einiges viel bunter als wir es uns heute vorstellen. In dieses Bild passt, dass in einem kleinen Raum im ersten Obergeschoss Balken und Begleiter nicht in grau, sondern in einem kräftigen, fast orangefarbenen Ockerton gefasst waren. Auch diese Fassung haben wir ergänzt. Der Raum wurde zu einem kleinen, rustikalen Besprechungsraum.

Funktion und Geschichte
Wichtig bei der Restaurierung des Hauses Römerstraße 41 war nicht nur das Aussehen, sondern auch die Funktion. Man kann ein Gebäude auch “vergewaltigen”, indem man die ursprüngliche Funktion der Räume und der Bestandteile allzu stark abwandelt. So gibt es in Obernburg einige Beispiele, wo das Fachwerk nur noch Fassade ist. Innen sind sie “entkernt” und jeglicher Substanz beraubt. Natürlich konnte man den offenen Kamin nicht wieder in Betrieb nehmen, dessen Reste in allen Stockwerken noch erhalten sind. Es machte auch keinen Sinn, einzelne Kellerräume wieder zuzumauern - zumal die Franzosen heute nicht mehr so feindselig sind, wie noch zu Napoleons Zeiten.

Aber es wäre zum Beispiel eine Sünde gewesen, den großen, mit Stuck verzierten Ern im ersten Stock zu unterteilen, nur um eine gemeinsame Eingangstür für die angrenzenden Büroräume zu schaffen. Und die schöne barocke Holztür, die früher der Haupteingang zum Wohnbereich war, dient auch heute noch als repräsentatives Portal zum Büro. Wo Änderungen notwendig waren, wurde versucht, die ursprüngliche Funktion zumindest kenntlich zu machen. So lässt die Metall-Glas-Konstruktion, die den öffentlichen Bereich mit den beiden Läden vom Treppenaufgang trennt, deutlich erkennen, dass es sich früher um einen durchgängigen Hausflur gehandelt hat. Und der neue Anbau im Hof hebt sich klar vom Haus in seinen ursprünglichen Umrissen ab.

Es bleiben Rätsel
Einiges in der Geschichte des Hauses gibt bis heute Rätsel auf: Der große Gewölbekeller beispielsweise hatte einen doppelten Boden. Wozu diente er? Eine Treppe, über die man ursprünglich von der Seite, wo heute das Anwesen Ederer steht, in den Keller gelangte, endet etwa eineinhalb Meter über den Bodenplatten. An den Wänden finden sich in der gleichen Höhe große Löcher, die darauf schließen lassen, dass hier einmal Balken eingezogen waren. Unter dem Hof tauchte ein weiterer, etwa drei mal fünf Meter großer und eineinhalb Meter hoher Gewölbekeller auf. Er ist fünf bis zehn Meter vom Haus entfernt und war mit diesem offenbar durch einen schmalen Gang verbunden, durch den man gerade so hindurchkriechen konnte. Leider endet der Gang heute blind und im Haus lässt nichts auf eine Verbindung schließen. Was hatte es damit auf sich? Das Haus Römerstraße 41 steckt, wie sicher die meisten in der Obernburger Altstadt, noch voller Details, die berichtenswert wären. Wir haben versucht, die meisten von ihnen so zu erhalten, dass sie auch in den nächsten 400 Jahren interessierten Menschen zugänglich sind.   

          Steffen Scharrer

Haus Nummer 41, ein Schmuckstück in der Römerstrasse

Um die Schönheit der Madonnenfigur an der Hausfassade auf sich wirken zu lassen, sollte der eilige Mensch ruhig einen Moment innehalten.