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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Vom Stall im Haus zum Aussiedlerhof

Obernburg erhielt 1313 die Stadtrechte und damit auch die Pflicht, eine Wehranlage mit Stadtmauer und Türmen zu errichten, um die Bevölkerung zu schützen. Das Leben der Bewohner spielte sich überwiegend innerhalb dieser Stadtmauern (siehe Stadtplan von 1844) ab. Eng gedrängt standen die Häuser.

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Aber es ging nicht nur um das Wohnen. Zur Ernährung wurde auch Vieh gebraucht, denn man wollte eine sichere Versorgung mit Milch, Fleisch, Eiern, Wolle und Federn und die gab es nur durch eine eigene Viehhaltung. So wurden oft auf engstem Raum Hühner, Schweine und Ziegen, oder, welch ein Luxus, eine Kuh gehalten.

Die Ställe befanden sich meist unter demselben Dach wie die Wohnungen der Menschen. Dazu kam auch noch Platzbedarf für den Wintervorrat an Futter. Ein Misthof mit Jauchegrube, auch für die menschlichen Bewohner, wurde ebenfalls gebraucht. Und wenn es gut ging, war auch noch ein Hausbrunnen im Hof, oft nur wenige Meter vom Misthof entfernt.

So war das Leben in den meisten Kleinstädten in der damaligen Zeit. Aber als die Bevölkerung wuchs, wuchsen auch die Ansprüche an die Lebensmittel. Ab dem 19. Jahrhundert hatten die herkömmlichen Wehranlagen keinen großen Verteidigungswert mehr. Mit den vorhandenen Kanonen konnten diese leicht in „Schutt und Asche“ gelegt werden. Daher durfte nun auch außerhalb der Stadtmauern gebaut werden.

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in Obernburg viele Bauernhöfe neu errichtet, zum Teil mit Steinen der Stadtmauer. Sie wurden nicht nur neu sondern auch größer gebaut. Ein Wohnhaus für drei Generationen, eine größere Scheune, ein Stall für mehrere Kühe, Ziegen und Schweine sowie Nebengebäude mit Waschküche und Getreidespeicher entstanden. Wer schon Pferde besaß, brauchte auch dafür einen Stall. Diese (Pferde)Bauern waren meist im Wald oder beim Holzfahren tätig. Ausschließlich von der Landwirtschaft lebte damals kaum jemand. Fast jeder hatte eine kleine Landwirtschaft zur Selbstversorgung.

Bauernhöfe außerhalb der Stadtmauern entstanden
In dieser Zeit entstanden in der Lindenstraße die meisten neuen Bauernhöfe. Aber auch in der Frühlingstraße (4), Jahnstraße (1), Johannes-Obernburger-Straße (2), Brunnenstraße (1), Kreßstraße (3) und Burenstraße (2) wurden neue Gehöfte errichtet.

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Im städtischen Archiv ist 1924 für die Miltenberger Straße 7 ein Antrag auf Genehmigung eines Bauernhofes von Achati/Helm vorhanden. Um diese Zeit baute auch Valentin Reis IV sein Wohnhaus in der Miltenberger Straße 9; Stall und Scheune sollten folgen. Den Erdaushub, reinen Lößboden vom Katzental, fuhr er auf seine Aaräckerwiese. Die Aufschüttung ist immer noch zu sehen. Zum Bau der Wirtschaftsgebäude kam er nicht mehr, da er anstelle seines Bruders den elterlichen Hof in der Lindenstraße 53 übernehmen musste. Das Wohnhaus erhielt dafür seine Schwester bei deren Hochzeit als „Mitgift“.

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Links Haus und Hof Helm,
rechts das ehemalige Haus Reis

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Eine Hühnerfarm der Familie Hohm entstand an der Ecke Brennerweg/Neuer Weg, die bis in die 1960er Jahre betrieben wurde.

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Noch vor dem Zweiten Weltkrieg errichtete Sebastian Österlein in der Kapellengasse 1 einen Bauernhof samt Wohnhaus.

Auf Grund eines Brandes entstand der letzte Hof dieser Ära in der Straße Am Tiefental 4. Josef Ripperger, dessen Gehöft in der Badgasse/Winkelhof abgebrannt war, errichtete dort 1951 einen kompletten Bauernhof mit Wohnhaus. Sein Schwiegersohn Gottfried Hasselbacher führte den Betrieb im Nebenerwerb bis 1989 weiter. Knapp 10 Jahre später verkaufte die Familie Stall und Scheune an den Landkreis, der Parkplätze für die FOS auf dem Gelände herstellte.

Im wahrsten Sinne des Wortes Außen vor waren damals die Obernburger Mühlen, die auch alle eine Landwirtschaft betrieben. Sie waren nicht eingeengt wie in der Stadt. Dies waren die Knechtsmühle in der Kapellengasse, die Deckelmannsmühle an der Eisenbacher Straße und die Kochsmühle im Weidig. Auch an der Ziegelhütte war genügend Platz.

Entstehung von Aussiedlerhöfen
Und wieder ging die Entwicklung weiter. Als in den 1920er Jahren die Glanzstofffabrik ihren Betrieb aufnahm, gab es neue, lukrative Arbeitsplätze. Ein Grund, dass etliche Familien die Landwirtschaft aufgaben. Weitere Firmen siedelten sich an.

Lebensmittelgeschäfte entstanden, in denen man nun alles kaufen konnte. Wer weiter von der Landwirtschaft leben wollte, ging meist in den Wald oder musste den Betrieb vergrößern.

Ende der 1950er Jahre begann die Aussiedlungswelle. Herbert Klimmer aus der Mainstraße (Bild links) errichtete 1959 am Oberen Neuen Weg den ersten Aussiedlerhof (Bild rechts).

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Josef Schmitt aus der Frühlingsstraße (Bild links) begann 1959 zu bauen und zog im Juni 1960 an den Pflaumheimer Weg.

 

 

Beide Höfe bekamen ihr Wasser aus dem Ortsnetz. Teilweise wurden dafür eigene Druckerhöhungsanlagen gebraucht.

 

1962 baute Lorenz Österlein aus der Unteren Gasse/Kastellstraße einen Aussiedlerhof an den Pflaumheimer Weg, etwa 500 m vor der Gemarkungsgrenze zu Mömlingen. Eine Wasserleitung gab es noch nicht. Der Versuch, einen Brunnen oberhalb vom Roten Busch im sogenannten Mittelbergsgraben zu bohren, brachte kein brauchbares Ergebnis. Österlein musste fast drei Jahre das Wasser für Vieh und Wohnhaus selbst heran fahren.

Erhard Englert aus der Römerstraße baute 1963 im Bereich Oberer Neuer Weg/Wolze und Alois Englert, ebenfalls aus der Römerstraße siedelte 1964 in den Pflaumheimer Weg, Höhe Willibaldstein. Valtin Reis errichtete 1965 seinen neuen Hof und zog von der Oberen Gasse in die Gemarkung Altmauer um.

Wasserversorgung der Aussiedlerhöfe
Für diese Höfe musste erst die Wasserversorgung gelöst werden. So wurde 1963 eine lange Wasserleitung vom Hochbehälter am Brennerweg über Äcker und Wiesen hinweg bis zum Oberen Neuen Weg/Ecke Taubenlochweg und von dort weiter bis zum Aussiedlerhof Valtin Reis verlegt. Erst 1965 wurde diese Leitung den Seffengrabenweg entlang bis zum Pflaumheimer Weg und dann bis zu den Aussiedlerhöfen Österlein und Vetter (Mömlingen) weiter gebaut. Eine weitere Leitung wurde 1964 querfeldein vom Oberen Neuen Weg, heute Bereich Solarfeld, über die Flurstücke Lehmrich 9., 8., 7., 6. Gewanne bis zum Pflaumheimer Weg an den Hof Englert geführt. Dieses Stück Leitung musste Alois Englert aus Kostengründen selbst zufüllen und die Äcker wieder einebnen.

Bruno Fischer verlängerte diese Leitung über die Flurstücke Lehmrich 5. und 4. Gewanne bis zum Lehmrichweg und von da hinunter zum Sandweg. Für diese Leitungen wurden die damals neu auf den Markt gekommenen PVC-Kunststoffrohre genommen. Sie sollten unverwüstlich sein und „ewig“ halten. Leider war das Gegenteil der Fall. Immer öfter gab es Rohrbrüche an der inzwischen „Bauernleitung“ genannten Leitung.

 Ab 2006 wurde diese Leitung vom Bauhof Stück für Stück erneuert. Auch eine neue Trassenführung wurde gewählt. Die Leitung wurde den Altmauerweg hoch bis zum Pflaumheimer Weg und von da bis zum Hof Ludwig Vad und Franz-Josef Englert verlegt. Mit dieser Leitung wurden auch die Höfe Franz Stahl, Robert Schmitt, Andreas Koch, Jürgen Koch und die Hofstelle Klimmer neu angeschlossen. Die Druckerhöhungsanlage für die Leitung sitzt im Hochbehälter Oberer Neuer Weg. Die alten Leitungen durch den Seffengrabenweg und durch die Lehmrichäcker zwischen Oberem Neuen Weg und Pflaumheimer Weg wurden stillgelegt und im Boden gelassen. Die Leitung vom Brenner-Hochbehälter wird zurzeit immer noch zum Füllen des Hochbehälters am Oberen Neuen Weg genutzt.

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Als Karl Helm aus der Lindenstraße 1965 an den Etzelweg baute, wurde seine Wasserversorgung zunächst vom Wasserhaus aus sichergestellt. 2004, als eine neue Leitung vom Wasserhaus nach Eisenbach verlegt wurde, wurde der Hof Helm auch daran angeschlossen.

Spätere Aussiedlungen
Bruno Fischer von der Frühlingstraße begann 1964 erst mit einer Teilaussiedlung an den Sandweg. 1974 baute er dann auch sein Wohnhaus dorthin. Im Jahre 1976 siedelte Willi Koch aus der Lindenstraße ins Lehmrich 7. Gewanne. Eine Milchviehhaltung wurde ihm nicht genehmigt, da er zu wenig Wiesenfläche hatte. So siedelte er mit Schweinezucht und Maststall aus. Seinen Betrieb in der Lindenstraße führte er aber mit Milchvieh bis zum Erreichen des Rentenalters weiter.

Im Jahr 1983 siedelte Franz Stahl von der Brunnenstraße an den Pflaumheimer Weg aus. Jürgen Koch begann in den 1980er Jahren mit einer Teilaussiedlung ebenfalls ins Lehmrich 7. Gewanne/Pflaumheimer Weg. Um 2000 errichtete er noch ein Wohnhaus dazu.

Als weiterer siedelte 1985 Gerhard Willmann von seiner Hofstelle Ecke Schmiedgasse/Obere Wallstraße an den Oberen Neuen Weg/Seffengrabenweg. Er hatte sich auf Legehennen spezialisiert. Sein ehemaliger Betrieb brannte zuvor in der Silvesternacht 1978/79 ab.

Im Jahre 1974 errichtete der erste Aussiedlerhof Klimmer, inzwischen von der Wohnbebauung eingeholt, eine weitere, zusätzliche Hofstelle. Am Pflaumheimer Weg baute er einen Schweinemaststall und Getreidesilos mit einer Trocknungsanlage.

Als Lorenz Österlein überraschend verstarb, kaufte 1974 Heinrich Vad aus der Lindenstraße den Hof und stellte auf Schweinezucht um. Sohn Ludwig Vad hat den Hof um einen großen Schweinestall erweitert und hält noch etliche Pensionspferde.

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Hof Vad 1977 und 2018

Andreas Koch, Sohn von Willi Koch, hat auch seit einigen Jahren Getreidesilos mit einer Trocknungsanlage errichtet und betreibt seit 2014 eine Biogasanlage zwecks Stromerzeugung. Josef Fischer, Sohn von Bruno Fischer, errichtete 2013 ebenfalls Getreidesilos.

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Lage der Aussiedlerhöfe auf dem Berg (Quelle Google Earth)

Von den drei Mühlen hat nur noch die Knechtsmühle in der Kapellengasse eine Landwirtschaft. In der Deckelmannsmühle wurde die Landwirtschaft 2007 aufgegeben. Besitzer Richard Koch hatte das Rentenalter erreicht. Die Kochsmühle ist in den 1990er Jahren verkauft worden. Das Gehöft wurde zu einem Gaststättenbetrieb mit dem Namen „Die Müllerei“ umgebaut. Die Mühle blieb dabei als Denkmal erhalten. Auf dem Dach ist aber als Erinnerung an eine Landwirtschaft der Dachaufbau des früheren Osterrieders (Höhen- und Querfördergerät) zu sehen. Ein Hoteltrakt wurde 2017/18 neben der Gaststätte errichtet.

Ende 2019 gibt es aktuell einen Milchviehbetrieb, einen Mutterkuhhalter, drei Schweinezüchter/-mäster und vier Pensionspferdehalter in Obernburg. Einer der größten Schweinehalter, Paul Klimmer, hat 2019 die Schweinehaltung aufgegeben. Weitere Landwirte betreiben nur Ackerbau.

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Reis

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A. Englert

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Stahl

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E. Englert

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A. und J. Koch

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Klimmer

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Fischer

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Schmitt

Erich Reis