Karl Michel, der Ende der 1870er Jahre gleich mehrere Häuser im neuen Bebauungsgebiet im Norden Obernburgs auf eigene Rechnung erstellte, um sie dann zu verkaufen, geriet in Zahlungsschwierigkeiten. Im Zwangsversteigerungsverfahren7 ersteigerte der aus dem Militärdienst ausgeschiedene Oberstleutnant Julius Ritter von Rohe Michels neu gebautes Haus Nr. 310 (heute Römerstraße 89/Ecke Juliusstraße) als Altersruhesitz. In den nächsten Jahren vergrößerte von Rohe seinen Besitz durch Zukauf von Gartengrundstücken und errichtete in Fortsetzung der Stallung eine Remise, erwarb einen Obst- und Grasgarten und erweiterte 1884 das Haus durch einen Anbau.
Mit dem Bau der Trinkwasserversorgung in Obernburg wurde auch der „Hinter der Stadt“-Weg im Bereich der heutigen Juliusstraße zur Straße erweitert. Die Stadt Obernburg kaufte hierzu Teilflächen der Gartengrundstücke von Hugo Reis und bekam unentgeltlich vom Oberstleutnant die Gartenfläche an dessen Haus, „trotzdem drei Apfelbäume – darunter ein besonders tragbarer – in dieser Linie“ standen, wie er der Stadt am 4. Mai 1896 schrieb.8
Allmählich bürgerte sich im Schriftverkehr der Stadt Obernburg9 die Bezeichnung Juliusstraße ein. Die Trennung von Plannummer 1770 erfolgte jedoch erst sehr spät, nämlich bei der Vermessung im Jahr 1941. Damals wurde die Lindenstraße eingetragen als Adolf-Hitler-Straße und das abgetrennte Teilstück erhielt die neue Plannummer 1578/2 mit dem Namen Juliusstraße.10 Da bisher ein Widmungsbeschluss des Stadtrates zu diesem Straßennamen nicht gefunden werden konnte, müssen weitere Umstände zur Bestimmung herangezogen werden. Ein Neubaugebiet wie auf der Obernburger Rüdhölle mit allgemeinen Vornamen als Straßennamen liegt nicht vor. Wenn die Stadt Obernburg bisher eine Straße einer bestimmten Person widmete, dann verwendete sie grundsätzlich den Nachnamen der Person und nicht den bloßen Vornamen, um die Zuordnung erkennbar zu machen.11 Gerade der alleinige Vorname Julius als Straßenname weist hier auf eine Besonderheit hin.
Auf der Suche nach möglichen Namensgebern fällt in unserer Gegend schnell der Name Julius Echter, der 1545 im nahe gelegenen Mespelbrunn als zweitältester Sohn geboren wurde und von 1573 bis 1617 Bischof in Würzburg war. Echter hatte dreimal versucht, Erzbischof von Mainz zu werden, ist aber jedes Mal gescheitert. Bedenkt man jedoch, dass Obernburg erst 1814 bayerisch wurde und vorher im Herrschaftsgebiet des Mainzer Erzbischofs lag, dann bleibt für eine Ehrung des Würzburger Bischofs auf Mainzer Gebiet kein Raum. Ein unbedeutender Flurweg wäre ohnedies für einen Bischof ein ungeeignetes Objekt gewesen. Auch nach 1814 gab es keinen Anlass, den Würzburger Bischof hier besonders zu würdigen. Dass die Stadt Obernburg trotzdem in neuerer Zeit eine Straße nach ihm benannt hat, nämlich die Julius-Echter-Straße auf der Rüdhölle, dürfte mehr der touristischen Vermarktung Mespelbrunns, als den historischen Fakten geschuldet sein. Aus obigen Gründen scheint eine ordentliche Widmung ausgeschlossen zu sein.
Die wahrscheinlichste These dürfte lauten, dass Julius Ritter von Rohe als Namensgeber diente, da die Namensbildung wohl in der relativ kurzen Zeit von 1880 bis 1910 erfolgte, als dieser Feldweg von einer einfachen Ortsumgehung zu einer innerstädtischen Straße wurde.
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