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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Die Juliusstraße und das Rohe-Haus

Rohehaus 2011

 

Die Juliusstraße ist die erste Verbindung der Römerstraße mit der Lindenstraße, wenn man den Obernburger Ortskern durch das Untere Tor verlässt.

Sie ist recht kurz und nervt die Autofahrer gelegentlich, wenn die Richtung der heutigen Einbahnstraße wieder einmal wegen einer Veranstaltung verändert wird.

 

Ursprünglich war die Juliusstraße ein Feldweg und Teil der städtischen Ortsumgehung „Hinter der Stadt“-Weg, Plannummer 1770. Als Ende des 19. Jahrhunderts die mittelalterliche Stadtmauer größtenteils eingerissen wurde und Obernburg seine „Ämterstadt“ zu bauen begann, wurden an der nördlichen Seite des Flurweges das Bezirksamt1 und das Gefängnis2 errichtet. „In den unteren Thorgärten“ auf der südlichen Seite befanden sich viele kleine Gartenparzellen. 1878 kaufte der Obernburger Bautechniker Karl Michel3 ca. die Hälfte der direkt am Feldweg liegenden Parzellen ab der Staatsstraße nach Aschaffenburg4 auf und baute darauf ein zweistöckiges Wohnhaus mit Mansarde und Keller.

Die Eingangstreppe liegt seitlich im Innenbereich des Grundstückes, weil die Stadt Obernburg „die auf das Trottoir projectierte Treppe in das Innere [des] Anwesens“5 verlegen ließ.


An das Haus schloss sich ein Hofraum an und das Grundstück wurde zur Bergseite mit einer Stallung mit Knechtkammer und angebauter Dreschtenne mit Futterboden begrenzt. Das Grundstück umgab, wie damals vorgeschrieben, eine Mauer mit aufgesetztem Staketenzaun. So sollte das Ausfliegen der Hühner verhindert werden.6

Rohe Operat Nr

Karl Michel, der Ende der 1870er Jahre gleich mehrere Häuser im neuen Bebauungsgebiet im Norden Obernburgs auf eigene Rechnung erstellte, um sie dann zu verkaufen, geriet in Zahlungsschwierigkeiten. Im Zwangsversteigerungsverfahren7 ersteigerte der aus dem Militärdienst ausgeschiedene Oberstleutnant Julius Ritter von Rohe Michels neu gebautes Haus Nr. 310 (heute Römerstraße 89/Ecke Juliusstraße) als Altersruhesitz. In den nächsten Jahren vergrößerte von Rohe seinen Besitz durch Zukauf von Gartengrundstücken und errichtete in Fortsetzung der Stallung eine Remise, erwarb einen Obst- und Grasgarten und erweiterte 1884 das Haus durch einen Anbau.

Mit dem Bau der Trinkwasserversorgung in Obernburg wurde auch der „Hinter der Stadt“-Weg im Bereich der heutigen Juliusstraße zur Straße erweitert. Die Stadt Obernburg kaufte hierzu Teilflächen der Gartengrundstücke von Hugo Reis und bekam unentgeltlich vom Oberstleutnant die Gartenfläche an dessen Haus, „trotzdem drei Apfelbäume – darunter ein besonders tragbarer – in dieser Linie“ standen, wie er der Stadt am 4. Mai 1896 schrieb.8

Allmählich bürgerte sich im Schriftverkehr der Stadt Obernburg9 die Bezeichnung Juliusstraße ein. Die Trennung von Plannummer 1770 erfolgte jedoch erst sehr spät, nämlich bei der Vermessung im Jahr 1941. Damals wurde die Lindenstraße eingetragen als Adolf-Hitler-Straße und das abgetrennte Teilstück erhielt die neue Plannummer 1578/2 mit dem Namen Juliusstraße.10 Da bisher ein Widmungsbeschluss des Stadtrates zu diesem Straßennamen nicht gefunden werden konnte, müssen weitere Umstände zur Bestimmung herangezogen werden. Ein Neubaugebiet wie auf der Obernburger Rüdhölle mit allgemeinen Vornamen als Straßennamen liegt nicht vor. Wenn die Stadt Obernburg bisher eine Straße einer bestimmten Person widmete, dann verwendete sie grundsätzlich den Nachnamen der Person und nicht den bloßen Vornamen, um die Zuordnung erkennbar zu machen.11 Gerade der alleinige Vorname Julius als Straßenname weist hier auf eine Besonderheit hin.

Auf der Suche nach möglichen Namensgebern fällt in unserer Gegend schnell der Name Julius Echter, der 1545 im nahe gelegenen Mespelbrunn als zweitältester Sohn geboren wurde und von 1573 bis 1617 Bischof in Würzburg war. Echter hatte dreimal versucht, Erzbischof von Mainz zu werden, ist aber jedes Mal gescheitert. Bedenkt man jedoch, dass Obernburg erst 1814 bayerisch wurde und vorher im Herrschaftsgebiet des Mainzer Erzbischofs lag, dann bleibt für eine Ehrung des Würzburger Bischofs auf Mainzer Gebiet kein Raum. Ein unbedeutender Flurweg wäre ohnedies für einen Bischof ein ungeeignetes Objekt gewesen. Auch nach 1814 gab es keinen Anlass, den Würzburger Bischof hier besonders zu würdigen. Dass die Stadt Obernburg trotzdem in neuerer Zeit eine Straße nach ihm benannt hat, nämlich die Julius-Echter-Straße auf der Rüdhölle, dürfte mehr der touristischen Vermarktung Mespelbrunns, als den historischen Fakten geschuldet sein. Aus obigen Gründen scheint eine ordentliche Widmung ausgeschlossen zu sein.

Die wahrscheinlichste These dürfte lauten, dass Julius Ritter von Rohe als Namensgeber diente, da die Namensbildung wohl in der relativ kurzen Zeit von 1880 bis 1910 erfolgte, als dieser Feldweg von einer einfachen Ortsumgehung zu einer innerstädtischen Straße wurde.

Rohe Hofansicht vor dem Umbau 1999

Hofansicht vor dem Umbau 1999

Die wichtigste Veränderung in der Umgebung der heutigen Juliusstraße in dieser Zeit war, dass der gebürtige Obernburger Julius von Rohe, den sicher viele Einheimische beim Vornamen nannten und der ein Schwager des Altbürgermeisters Peter Kreß12 war, durch seine Verdienste im 1870/71er Krieg zu Wohlstand und höchstem Ansehen gekommen war und sich als Ruheständler ein repräsentatives Haus an dieser Straße leisten konnte.

Er selbst schreibt am 31.1.1907 an den Stadtmagistrat: „Was ich persönlich an Sorge, Mühe und Arbeit in einer langen Reihe von Jahren an demselben [Haus] gethan habe, wird wohl jedem älteren Obernburger bekannt sein.“ Die Straße „beim Julius“ wurde durch allgemeinen Sprachgebrauch zur Bezeichnung „Juliusstraße“.

Das Rohe-Haus diente von Anfang an nicht nur als Wohnhaus, sondern auch als Behördensitz. Bis 1897 war das Forstamt zur Miete darin untergebracht und dann das Notariat Weiß. Als das Haus 1909 in den Besitz der Stadt Obernburg übergegangen und 1910 umgebaut worden war, hat sich vorübergehend auch die Reichspostverwaltung darin eingemietet. Nach Oberst von Rohes Tod erhielt nach eindringlichem Appell an die Stadt13 Notar Erzberger das Wohnhaus als alleiniger Mieter. Später war die Landpolizei darin stationiert, bis sie ins ehemalige Krankenhaus umzog.

 

Danach vermietete die Stadt Obernburg das Rohe-Haus an jeweils drei Polizeibeamte mit Familie und ab 1980 wohnten sogar vier Parteien darin.

1999 wurde das Haus schließlich verkauft. Der neue Eigentümer renovierte das Gebäude von Grund auf, ließ den früheren Anbau mit der Waschküche abreißen und einen neuen errichten.

Das Bild zeigt den neuen Anbau aus der Sicht Juliusstraße.

Rohe Anbau von 1999 aus der Sicht Juliusstraße

Bei den umfangreichen Sanierungsarbeiten wurde im Hof ein vergrabenes Munitionslager14 entdeckt, dessen Herkunft unklar ist. Möglicherweise könnte es sich um ein Relikt der Polizeidienststelle handeln, die Fundmaterial kurzum im Hof vergraben ließ.

Seit dem Jahr 2000 dient das Rohe-Haus erneut als Behördensitz. Im Erdgeschoss befindet sich die Nebenstelle des Finanzamtes und in den oberen Stockwerken sind Familien-, Vormundschaft- und Nachlassgericht untergebracht.   

Dagmar Menger

 

1 heute: Finanzamt
2 heute: Ämtergebäude
3 Sein Beruf wird auch mit Bauunternehmer (Stadt Obernburg, Sitzungsprotokoll vom 04.02.1878) bzw. Maurermeister (Vermessungsamt Aschaffenburg, Operat 1 für Januar 1879) angegeben.
4 heute: Römerstraße
5 Sitzungsprotokoll des Magistrats Obernburg Nr. 216 von 1877
6 vgl. Sitzungsprotokoll Nr. 9 von 1879
7 Subhastationssache Adam Klug von Schippach gegen Karl Dominikus Michel (Klingenberg, 01.06.1881 GRN 461)
8 Sitzungsprotokoll Nr. 259 von 1897: „Bei Herrn v. Rohe soll mit dem Ankauf nicht länger gezögert werden, da es sehr fraglich ist, ob im Falle eines Besitzerwechsels der Nachfolger auf eine gleiche Vereinbarung eingeht.“
9 Mietvertrag Stadt Obernburg mit Julius Ritter von Rohe vom 11.10.1909, Sitzungsprotokolle vom 18.08.1896, 16.09.1897, 23.02.1907 u.a.
10 Katasteramt Klingenberg Vermessungsverzeichnis 212
11 Beispiele: Deckelmannstraße, Kreßstraße, Dr. Zöllerstraße
12 Ehemann der Sibilla Rohe, Schwester des Julius von Rohe aus der ersten Ehe seines Vaters.
13 Schreiben vom 16.1.1920, Zitat: „Wenn unter dem Vorbesitzer, dem verstorbenen Oberst Rohe, das Erdgeschoss thatsächlich vorübergehend von 2 Parteien bewohnt wurde, so kann der Umstand, dass der genannte Herr als Hausbesitzer sich auf das Äusserste einschränkte und mit sehr unfreundlichen, in jeder Beziehung unzulänglichen Wohnräumen begnügte, zwar als Beweis seiner ausnahmsweisen Bedürfnislosigkeit, nicht aber als Beweis für das Vorhandensein einer bezüglichen genügenden dauernden Wohngelegenheit betrachtet werden. Nach meiner Anschauung dürfte eine solche in dieser Weise auch der einfachsten hiesigen Familie für die Dauer kaum zugemutet werden.“
14 Main-Echo, Ausgabe 16.6.1999