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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
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Zosimus, Arzt in Obernburg

Ärzte und Medizin im römischen Reich
Wer das Telefonbuch für Obernburg unter dem Stichwort "Ärzte" aufschlägt, findet dort achtzehn Eintragungen - viele Allgemeinärzte, aber auch Spezialisten vom Augenarzt über den Kinderarzt bis zum Zahnmediziner. Sollte dieses Telefonbuch in 2000 Jahren in die Hände von Zukunfts-Archäologen fallen, werden diese einen recht informativen Einblick über Medizin und Mediziner des beginnenden 21. Jahrhunderts bekommen.
Doch wer hätte gedacht, dass wir dank eines "Eintrags" auf zwei Steinen auch etwas über einen Arzt des römischen Obernburg wissen? Durch einen erstaunlichen Zufall sind wir tatsächlich in der Lage, den Namen eines Mannes zu kennen, der vor fast 2000 Jahren im römischen Kastell Obernburg praktizierte - in einem Obernburg, das ein vermutlich recht wilder Vorposten der römischen Zivilisation in dem von Barbarenstämmen bewohnten Germanien. Zwei beschriftete Weihealtäre geben uns Zeugnis vom Leben und Wirken dieses Mediziners. Diese steinernen Zeugen der Vergangenheit sprechen einmal vom Lagerkommandanten Lucius Petronius Florentinus und zum anderen von dem Mann, dem er Leben und Gesundheit verdankte: von Zosimus, dem Militärarzt der damals in Obernburg stationierten aquitanischen Reiterkohorte.

Beide Steine wurden auf dem Gebiet des römischen Obernburg gefunden. Einer steht heute als Kopie im kleinen Innenhof des Römermuseums (Original im Stiftsmuseum, Aschaffenburg), der andere wurde in dem Haus  Römerstraße 41 verbaut und kann dort gelesen werden.

Arzt vor 2000 Jahren - wie war das wohl? Mit welchen Verletzungen und Krankheiten hatte ein römischer Militärarzt zu tun? Welche Heilmethoden standen ihm zur Verfügung? Wie hoch waren die Chancen, den Patienten tatsächlich zu heilen? Gab es so wie heute Spezialisierungen? Und nicht zuletzt: Wie war seine Stellung in der Gesellschaft?

Die gesellschaftliche Stellung der römischen Ärzte
In unserer modernen Welt erfreut sich der Arzt einer großen gesellschaftlichen Wertschätzung. Wir sprechen scherzhaft sogar vom "Halbgott in Weiß". Das Studium der Medizin ist so beliebt, dass man heute trotz harter Auslese der Studienbewerber mit einer Medizinerschwemme zu kämpfen hat. Wie war das in römischer Zeit?

Eine erste Antwort kann uns schon der Name des römischen Lagerarztes geben. Auf den ersten Blick scheint es sich um einen typischen dreigliedrigen römischen Namen zu handeln: Marcus Rubrius Zosimus. Das klingt doch ganz ähnlich wie "Caius Iulius Caesar": Vorname (nomen), Geschlechtername und Beiname. Doch verräterisch ist der letzte Namensbestandteil, Zosimus. Als eines der ersten Dinge lernt ein Lateinschüler, dass es gewisse Buchstaben im Lateinischen nicht gibt. So zum Beispiel das "W" - wir schreiben "Wein", doch das Wort geht auf das mit "v" geschriebene lateinische Wort "vinum" zurück ("in vino veritas" - im Wein ist Wahrheit). Auch das "k" kommt bis auf wenige Reste in der Sprache der Römer nicht vor: Der Kanzler geht auf ein lateinisches "cancellarius" (= Vorsteher) zurück.

Ein weiterer dieser im Lateinischen nicht existierenden Buchstaben ist das "Z" - wir sprechen von "Zirkus", doch das Wort stammt von lateinisch "Circus" ab, das man mit "C" schreibt. Wie kann dann der römische Lagerarzt "Zosimus" mit "Z" heißen? Bei genauerem Hinsehen erinnert auch die Wortwurzel in nichts an andere römische Namen oder Wörter, lässt uns aber an Dinge und Fachbegriffe wie "Zoo" oder den "Herpes Zoster" (Fachbegriff für die schmerzhafte Gürtelrose) denken, die griechischen Urprungs sind. Und in der Tat: Zosimus ist ein griechischer Name, dessen Endung auf - us latinisiert wurde. Ursprünglich hieß der Mann Zosimos. Die beiden anderen Namensbestandteile sind dagegen echt römisch.

Das kann nur eines bedeuten: der erste Obernburger Arzt war griechischer Herkunft und hatte möglicherweise die Freiheit, sicher aber den kompletten Namen und das römische Bürgerrecht erst im Nachhinein erhalten. Am Ende der Inschrift nennt er die Stadt Ostia sein Zuhause, die als Hafen Roms diente. Wohl gemerkt: Zosimus hatte sein "Zuhause" in Ostia, doch er sagt nicht, dass er Bürger Ostias oder dort geboren sei. Eine plausible Erklärung wäre, dass er oder auch schon sein Vater, als Grieche oder gar als griechischer Sklave das Handwerk des Arztes in Ostia erlernt hatte und dann freigelassen worden war.

Aus vielen anderen Quellen, z.B. auch aus einer Kölner Inschrift (CIL XIII 8349; dort nennt sich ein Arzt ausdrücklich "libertus", also "freigelassen") wissen wir, dass das Ärztehandwerk auch noch im 2. Jahrhundert nach Christus oft von Sklaven oder Freigelassenen meist griechischer Herkunft ausgeübt wurde. Selbst der Leibarzt der Kaiser Tiberius, Caligula und Claudius war ein Grieche, der später das römische Bürgerrecht erworben hatte. Auch sein Name besteht wie der unseres Zosimus aus zwei lateinischen und einem griechischen Bestandteil, in welchem wir den ursprünglichen griechischen Personennamen greifen: Caius Stertinius Xenophon.

Die Ärzteschaft und das Medizinwesen war so durch und durch griechisch, dass es nicht verwundert, dass unser Wort "Arzt" auf eine griechische Wurzel, nämlich "iatros" oder "archiatros" (Arzt/ Gemeindearzt) zurückgeht.

Der kaiserliche Leibarzt Xenophon war in Rom durch seine Kunst steinreich geworden. Doch trotz seiner 30 Millionen Sesterzen war Xenophon in seiner Heimat, der griechischen Insel Kos, weit mehr geachtet als in Rom: Während man ihm dort ein Denkmal setzte und Münzen mit seinem Bildnis prägte, waren im Rom der Kaiserzeit Ärzte vor allem eine Zielscheibe des Spottes. Nur wenige Jahre nach der Regierungszeit der drei Kaiser, denen der Arzt Xenophon diente, setzte es sich der Dichter Martial zum Ziel, die Laster seiner Zeit anzuprangern ("dicere de vitiis" = über die Laster zu sprechen), freilich ohne bestimmte Individuen bloßzustellen ("parcere personis" = Personen zu schonen). Und keine andere Berufsgruppe ist so sehr das Ziel seines beißenden Spotts als gerade die Ärzte:

Martial nennt sie "stulti" (Dummköpfe; II, 40), da sie eingebildete Kranken nicht durchschauen. Von einem Arzt mit - wie könnte es anders sein? - griechischem Namen berichtet er gar, er habe bei seinem Patienten einen wertvollen Trinkbecher gestohlen. Zur Habgier gesellt sich dann noch Unverschämtheit, denn auf frischer Tat ertappt schiebt der diebische Arzt die Schuld dem Kranken zu: Weshalb habe denn der Kranke auch unbedingt etwas trinken wollen (IX, 96)? Wie viel, oder besser gesagt, wie wenig Martial von den Fähigkeiten der griechischen Ärzte hielt, kommt gleich in mehreren Epigrammen zum Ausdruck, die alle nach dem gleichen Schema gebaut sind:

  • "Nuper erat medicus, nunc est vispillo Diaulus.
  • Quod vispillo facit, fecerat et medicus" (I, 47)
  • Neulich noch war er ein Arzt, nun ist er Totengräber, der Diaulus.
  • Was er als Totengräber macht, das hatte er auch als Arzt getan."
  • (nämlich Leute unter die Erde bringen, ergänzt die Schreiberin)

Ein anderes Epigramm berichtet von einem Augenarzt, der nun als Gladiator das mache, was er auch früher getan habe - nämlich  Augen ausstechen und damit evtl. auch morden, so muss der Leser folgern (VIII, 74).
Überhaupt scheint die Idee, dass Ärzte nur habgierig seien und mit ihrer (Schein-)kunst die Patienten umbringen, weit verbreitet gewesen zu sein. Martials wohl sarkastischstes Arzt-Gedicht berichtet vom plötzlichen und unerklärlichen Tod, den ein kerngesunderMann im Schlaf gefunden hatte. Er muss wohl, so folgert Martial, von dem (griechischen!) Arzt Hermocrates geträumt haben (VI, 53).

Auch der ältere Plinius teilt diese tiefe Skepsis den Ärzten gegenüber (nat. hist. 29,8,11) - es ist für einen echten Römer abstoßend, für das Retten von Menschenleben Geld zu verlangen. Die Geldgier sei es, was alle ärztlichen Koryphäen gemeinsam hätten. Jeder griechische Arzt wolle eine neue Methode erfinden, weniger um seinen Patienten zu helfen als um sich an ihnen zu bereichern.

In diesem Zusammenhang erwähnt Plinius auch den "Grabstein eines Unglücklichen", auf dem man lesen könne, dass er "durch die vielen Ärzte ums Leben gebracht" worden sei (29,11). Plinius selbst ist nicht gegen die Medizin, sehr wohl aber gegen die Ärzte. Empfehlenswert ist seiner Meinung nach die Selbstmedikation.

 In diesen Zeugnissen greifen wir also den wichtigsten Unterschied, was die gesellschaftliche Stellung des Arztes angeht. Zwar besserte sich das Ansehen der Ärzte im Laufe der Jahrhunderte, aber vom Ansehen ihrer modernen Kollegen konnten sie höchstens träumen. Ärzte waren in der römischen Antike alles andere als angesehene Mitglieder der vornehmen Gesellschaft. Man sah in ihnen Handwerker, nicht viel anders als z.B. Köche. Ärzte waren hochspezialisierte Sklaven, daher bezahlte man für sie - wie übrigens auch für Köche - oft horrend hohe Kaufsummen. Das Wort "Hausarzt" geht auf diese Zeit zurück und meinte damals ganz wörtlich den Arzt, der wie ein Hausgarten oder eine Haustür oder der Hauspförtner als Sklave zum Inventar des Hauses gehörte.

Wahre Bildung sah man im medizinischen Studium nicht. Die eines freien Mannes würdigen Künste ("septem artes liberales") umfassen zwar neben Philosophie und Grammatik auch Mathematik, aber nicht die Medizin. Noch dazu waren Ärzte in der Regel Ausländer. Und Fremdenfeindlichkeit ist wahrhaftig kein modernes Phänomen, wie die Worte des alten Cato über die ersten griechischen Ärzte belegen, die in Rom praktizierten:

"Iurarunt inter se barbaros necare omnis medicina, sed hoc ipsum mercede facient, ut fides iis sit et facile disperdant." Übersetzt heißt das: Sie (=die griechischen Ärzte) haben unter sich geschworen, alle Barbaren (=also die Römer) durch ihre Medizin umzubringen, aber sogar das werden sie wohl noch für Bezahlung tun, damit man ihnen vertraut und sie einen leicht zugrunde richten können".

Cato bringt die Vorurteile gegen die griechischen Ärzte klar auf den Punkt: Geldgier, Arroganz und Hass auf die Römer, die sie Barbaren nennen. Das Wort "Barbar" ist ja griechischen Ursprungs und bedeutet ursprünglich "die Blabla-Redenden", d.h. Leute, die kein Griechisch sprechen und die man deshalb nicht versteht. In diesem Sinne sind auch die Römer für die Griechen "Barbaren".

Catos Ängste haben offenbar viele seiner römischen Mitbürger geteilt. Sie gaben nämlich Archagatos, einem der ersten in Rom praktizierenden griechischen Ärzte, den Spitznamen "carnifex" (Schlächter). Um nicht auf griechische Ärzte angewiesen zu sein, gibt Cato seinem Sohn verschiedene "Hausrezepte" mit, die allerlei Krankheiten kurieren sollen. Berühmt-berüchtigt ist seine Kohlsuppe, die - auf nüchternen Magen reichlich zu sich genommen - bei inneren Beschwerden ein heilsames Erbrechen und Abführen bewirken soll:

    Der Kranke wird auf diesen Trank "soviel Galle und Schleim ausspucken, dass er sich selber wundern wird, woher so viel kommt." (De agricultura, 156, 4)

Unter Caesar, der sich ja auch sonst als wissenschaftlich aufgeklärter Mann zeigte (man denke nur an seine Kalenderreform), bekamen die griechischen Ärzte das Bürgerrecht. Von da an stieg die gesellschaftliche Stellung der Ärzte natürlich, doch beweist die eher bescheidene Ausstattung der in Pompeji gefundenen Arzthäuser, dass auch tüchtige Ärzte nicht gerade zu den reichsten Bürgern des Landstädtchens gehörten.

Gut hundert Jahre, nachdem Martial seinen beißenden Spott über die Ärzte ausgoss, lebte und wirkte Zosimus in Obernburg. Zu dieser Datierung führt ein dritter Stein, der den Namen des Präfekten Florentinus enthält. Er lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Regierungszeit des Kaisers Commodus (180 - 192 n. Chr.) festlegen

Wie war das Image des Arztes damals, als Zosimus praktizierte?
Sagt uns der in Obernburg gefundene Altar direkt oder indirekt auch etwas über die Position des Militärarztes Zosimus? Die Inschrift berichtet von einer Genesung. Zosimus, der Arzt, dankt verschiedenen Göttern für die Gesundheit oder Rettung ("pro salute" - salus, salutis bedeutet sowohl Gesundheit als auch Genesung und Rettung) des Lagerkommandanten Florentinus. Die Standardformel V.S.L.M. in der letzten Zeile (votum solvit libens laetus merito - er löste sein Gelübde ein, gern, froh und wie er es schuldete) verrät Folgendes:

Die Krankheit des Präfekten Florentinus hatte Zosimus schwere Sorgen bereitet. Offenbar konnte er sich den Tod des Patienten nicht leisten. Obwohl Militärärzte nur niedrigen Offiziersrang hatten - meistens standen sie im Rang eines Zenturio - oder sogar nur den Mannschaften angehörten, hatte Zosimus den Göttern für die Genesung seines Vorgesetzten einen Altar versprochen - eine keineswegs billige Sache im Verhältnis zu seinem Sold!

Während man heute oft Klagen von Patienten hört, Ärzte würden sie "von oben herab" und mit zuviel Selbstsicherheit behandeln, war es damals offenbar genau umgekehrt: Unsicher, ängstlich, hilfesuchend war vor allem der Arzt. Dass auch der Patient selbst einen Weihealtar setzen ließ, ist dagegen nicht weiter verwunderlich. Immerhin ging es um sein Leben und seine Gesundheit und nach allem, was wir wissen, dürfte er finanziell weit besser gestellt gewesen sein als sein Arzt. Bezeichnenderweise lässt der in Obernburgs schönstes Fachwerkhaus (in der ehemaligen "Via Principalis", heute Römerstraße) eingemauerte Rest des Florentinus-Steins schließen, dass der Altar des Arztes nicht kleiner gewesen ist als der seines hochgestellten Patienten.

All das zeigt, wie ungesichert die Position und das Ansehen auch des Militärarztes gewesen sein muss. Wir können vermuten, dass Zosimus beim Tod des Präfekten empfindliche Einbußen im Ansehen zu befürchten gehabt hätte. Man neigte dazu, den Ärzten die Schuld zu geben. Auch der bereits genannte Satiriker Martial spricht ja von einem Kranken, der sich mit seinen Ärzten sofort anlegt, weil sie ihn nicht schnell genug heilen.

Zosimus setzt also einen Altar und dankt darin den Göttern, die er um die Genesung des Präfekten gebeten hatte. Damit rückt sich Zosimus auch weit weg vom in Rom weit verbreiteten Klischee, die Ärzte seien nur auf Geld aus. Doch welche Götter hatte er angefleht?

Als ersten nennt er Apollo. Dieser ist vor allem der Musenführer und damit der Gott der schönen Künste. Doch wurde er in Rom auch als Apollo-medicus (medicus = Arzt) verehrt. Nach einer Pestepidemie baute man ihm in Rom schon in sehr früher Zeit einen Tempel, also lange vor der Ankunft der griechischen Ärzte.
Dann folgt der Name des Gottes Aesculap, der als Asklepios in Griechenland für die Heilkunst zuständig war, in Epidaurus sehr verehrt wurde und dessen Kult mit den griechischen Ärzten nach Rom gekommen war. Sein erster Tempel in Rom entstand erst 150 Jahre nach dem des Apollo. Wir kennen diesen Gott noch im modernen Symbol des Arztes: ein Stab, um den sich eine Äskulapschlange windet.
Zosimus, der griechischstämmige Arzt in römischen Diensten, wendet sich also erst an den "römischeren" der beiden für die Heilkunst zuständigen Götter. Indem er zuerst dem römischen Heilgott dankt, zeigt er, dass er trotz seiner griechischen Herkunft in erster Linie Rom verpflichtet ist.
Als nächstes folgt die Gottheit "salus", worunter man die römische Übersetzung für die griechische "Hygieia", Personifikation der Gesundheit, sehen muss. Auch ihre Nennung ist verständlich. Auf Hygieia geht übrigens unser Begriff Hygiene zurück.

Weshalb nennt Zosimus am Ende auch "Fortuna", das personifizierte Glück? Natürlich ist die Gesundheit eine der positiven Gaben, die Fortuna in ihrem Füllhorn trägt. Doch das ist nicht alles. Das Glück spielt gerade für Ärzte eine besonders große Rolle, so wissen wir durch den berühmten Arzt Celsus (1. Jahdt. n. Chr), denn ein Heilmittel kann in einem Fall helfen, im anderen aber nicht. Seine Schriften müssen Zosimus bekannt gewesen sein. Deshalb ist es völlig logisch, dass Zosimus zuletzt auch Fortuna um Hilfe für die Genesung des Kommandanten gebeten hatte. Seine lange Liste macht den Eindruck, als sei er verzweifelt gewesen und sehr unsicher und um ja nicht eine eventuell nützliche Gottheit zu vergessen, wendet er sich an alle, die nur irgendwie für Heilung und Genesung hilfreich sein könnten. Und alle muss er dann natürlich auf dem Weihestein, den er nach der glücklichen Genesung des Präfekten in Auftrag gibt, namentlich erwähnen.

Ein Kuriosum stellt die erste Zeile der Inschrift dar. Wie bereits gesagt, handelt es sich um einen Weihestein, einen Altar und typisch für solche Inschriften ist die Eingangsformel I-O-M: Iovi Optimo Maximo - dem Jupiter, dem Größten und Besten (geweiht). In unserem Fall ist diese typisch römische Weiheformel erst nachträglich hinzugefügt worden, denn sie befindet sich außerhalb des für die Beschriftung hergerichteten Feldes und ist auch kleiner (normalerweise ist das IOM aber größer!) als der übrige Text. Sollte der Grieche Zosimus in all seiner Aufgeregtheit über die unerwartete Heilung ganz vergessen haben, wie man eine römische Altarinschrift beginnt und die Formel erst nachträglich hinzusetzen haben lassen? Dass der einheimische Steinmetz sie vergessen hat, wäre möglich, aber weniger wahrscheinlich, denn die Steinmetze arbeiteten nach Mustern und würden daher eher die abstrusesten Rechtschreibfehler machen als eine solche Standardformel vergessen.

Welche Gottheiten rief aber der kranke Präfekt selbst an? Seine Inschrift ist viel kürzer und er dankt nur einem einzigen Gott: Jupiter, dem Größten und Besten. Das wirkt römisch und außerdem wesentlich ruhiger, gefasster als die Reaktion des Arztes, der vorsorglich alle möglichen Gottheiten um Hilfe gebeten hatte. Und vielleicht erklärt diese Inschrift auch die nachträgliche Hinzufügung des "IOM" auf dem von Zosimus gesetzten Stein: Eventuell wollte man auf diese Weise die beiden Steine als zusammengehörend kennzeichnen. Obwohl der Florentinus-Stein den Grund des Gelübdes nicht nennt, wird mit Recht in der Literatur davon ausgegangen, dass es sich um dieselbe Sache handelt, die auch der Zosimus-Stein erwähnt: Das Setzen eines solchen Steines war etwas Besonderes und Seltenes und kam im Leben ein und desselben Mannes kaum mehrmals vor.

Welches waren nun aber die typischen Krankheiten und Probleme, mit denen ein Militärarzt zu tun hatte?
Welcher Art könnte die Krankheit des Kommandanten Florentinus gewesen sein? Natürlich werden wir das Leiden des Florentinus nach fast 2000 Jahren nicht herausfinden. Doch eine Zusammenstellung dessen, was damals schon möglich war und womit die antiken Ärzte Probleme hatten, kann uns ein Bild von der Alltagspraxis des Zosimus geben.

Naturgemäß hatte ein Militärarzt vor allem mit Verwundungen zu tun, wie sie im Kampf entstanden. Der Lagerarzt war daher in erster Linie Wundarzt, musste Geschosse mittels Sonden entfernen, Glieder amputieren, Hieb- und Stichverletzungen versorgen. Die Chirurgie ist so entstanden und war ursprünglich dazu da, Kriegsverletzungen zu behandeln. Das Lager in Obernburg war ein Vorposten und Verwundungen im Kampf sind daher immer denkbar; vielleicht auch in Zusammenhang mit dem zweiten Markomannenkrieg (178 - 180).

Erstes Anliegen bei einer Pfeilwunde war es, den Fremdkörper herauszuziehen. Um dem Gewebe nicht weiteren Schaden zuzufügen (denn sinnigerweise hatten die Pfeile nicht nur Widerhaken, sondern brachen leicht ab), benutzte man den sogenannten "Löffel des Diokles" und schob ihn durch den Wundkanal an den Fremdkörper heran. Das Instrument hatte ein kleines Loch, mit dem die Pfeilspitze verankert wurde. Ihre scharfen Seiten wurden durch Rillen fixiert, so dass beim Herausziehen nicht noch schlimmere Wunden entstehen konnten.

Doch im Unterschied zu ihren modernen Kollegen hatten die antiken Ärzte zwei unschätzbare Hilfsmittel nicht zur Verfügung: Sie konnten nicht oder in sehr unzulänglichem Maße betäuben und es gab keine antiseptische Wundversorgung. Auch Penicillin und Antibiotika sind erst Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Wie konnte man unter solchen Umständen einen Verwundeten versorgen? Bei der Erstversorgung der Wunde war der Verletzte, wenn der Arzt Glück hatte, bewusstlos. Dieser Zustand konnte durch das Hochlagern des Oberkörpers verlängert werden, immer jedoch mit der Gefahr, einen lebensgefährlichen Blutdruckabfall zu verursachen. Nicht zufällig zeigt ein Relief der Trajanssäule, wie aufrecht sitzende Verwundete versorgt werden. War der Verletzte bei Bewusstsein, musste er die Schmerzen im wesentlichen aushalten, wie auf einer pompejanischen Wandmalerei der sagenhafte Held und Urvater der Römer, Aeneas - ihm versorgt ein Arzt eine Wunde am Bein und nur die Haltung von Aeneas' Sohn zeigt, mit welchen Schmerzen das verbunden war.

Blutungen konnte man mit dem Kauter stoppen, einem sehr dünnen Eiseninstrument, das erhitzt wurde und mit dem man die Wunde ausbrannte. Ein Ausspruch des Hippokrates lässt darauf schließen, dass man nicht nur Blutungen durch Ausbrennen stillte, sondern das Instrument auch zum Versorgen von Entzündungen verwendete: "Was Arznei nicht heilen kann, heilt das Eisen; was Eisen nicht heilen kann, heilt das Feuer; was aber das Feuer nicht heilen kann, das muss als unheilbar gelten."

Durch das Schwert konnten sehr lange Schnitte entstehen, die man auch damals schon nähte, um ein besseres Verheilen zu bewirken. Man kannte verschiedene Formen der Wundnaht. Vorher musste die Wunde gut gesäubert werden. Trotzdem kam es natürlich immer zu einer Infektion der Wunde. Im besten Falle eiterte sie, was man als ein Abfließen der schlechten Körpersäfte deutete, und heilte dann. Gegen eine Blutvergiftung waren antike Ärzte machtlos.

Denkbar wäre also, dass der Lagerpräfekt an einer Verwundung gelitten hatte, dass es kritisch um ihn gestanden hatte und der Arzt deshalb alle Götter um ihre Hilfe angefleht hatte.

Genauso denkbar ist auch eine Infektionskrankheit. Sehr häufig waren Infektionen der Augen, weshalb Augenarzt (neben dem "chirurgus", ursprünglich Wundarzt) eine der ersten Spezialisierungen in der antiken Medizin darstellt. Das Adjektiv "lippus" erscheint in der römischen Literatur recht häufig, so z. B. bei dem augustäischen Dichter Horaz und dem oben bereits erwähnten Martial. Als Übersetzung findet man dafür "triefäugig" und gemeint ist jemand, dem aufgrund einer Augenentzündung das Auge ausläuft und trieft. "Lippitudo" (Triefäugigkeit) ist denn auch das römische Wort für Augenkrankheit schlechthin. Diese versuchte man durch allerlei Salben zu heilen. Gute Salben wurden in der ganzen römischen Welt verbreitet; sie hießen nach der Form ihrer Verpackung "Kollyrien" und das Weiterleben des Wortes z.b. im Italienischen ("collirio" = Augentropfen) beweist, wie weit verbreitet die Augensalben und daher die Augenkrankheiten gewesen sein mussten. Römische Ärzte waren auch schon fähig, erfolgreich den Star zu stechen.

Gegen das Husten war man dagegen machtlos. Dass man darunter nicht etwa eine harmlose Erkältung, sondern die Tuberkulose verstand, zeigt ein Epigramm des Martial über eine furchtbar hässliche und trotzdem zur Ehe begehrte reiche Dame. Ihr einziger Reiz besteht darin, dass sie hustet - und also bald beerbt werden kann:

    Quid ergo in illa petitur et placet? Tussit.
    Was also zieht an ihr an und gefällt? Sie hustet. (Buch 1, 10)

Auch echte Operationen nahmen römische Ärzte schon vor. Römische Skalpelle sahen im Prinzip auch nicht anders aus als ihre moderne Variante, nur dass die Klinge abnehmbar war. Man weiß auch von Trepanationen, also Eröffnungen des Schädels, um z.b. Knochensplitter zu entfernen. Manchmal wurde auch eine Amputation nötig, die natürlich immer lebensbedrohend war.

Ferner zog man faule Zähne mit der Zahnzange.

Als die gefährlichste Operation in der römischen Antike galt das Entfernen von Blasensteinen. Um den Urinabfluss bei verstopfter Harnröhre zu ermöglichen, verwendete man Katheder. Vorher versuchte man natürlich mit Medikamenten den Harnfluss zu fördern. Schon der alte Cato schreibt von dem Leiden und empfiehlt als Heilmittel wieder einmal eine Variante seiner Kohlsuppe und fügt hinzu, dass diese Medizin täglich eingenommen werden muss: "cotidie id facito!". Die Operation des Steinschneidens wird von verschiedenen antiken Ärzten erwähnt. Sie war offenbar sehr gefährlich und überaus schmerzhaft, so dass man mehrere Personen zum Festhalten des Patienten brauchte. Vielleicht wird diese Behandlung deshalb viel öfter erwähnt, als es der statistischen Häufigkeit von Blasensteinen entsprechen würde. Denkbar wäre eine solche riskante Operation auch für unseren Präfekten Florentinus gewesen.

Welche Medikamente hatte ein römischer Arzt zur Verfügung?
Man glaubte damals - wie es auch heute wieder Mode geworden ist - an die heilsame Kraft von Edelsteinen. Plinius hat in seinem Monumentalwerk "De rerum natura" (Naturkunde) mehrere Bücher der Heilkunde gewidmet und erwähnt unter anderem die Kraft des Bernsteins, der angeblich den Kropf heilen könne. Darüber hinaus wusste man um die Kraft bestimmter Pflanzen. Plinius selbst hatte als junger Mann Zutritt zum berühmten Kräutergarten des Antonius Castor gehabt, der dank seiner Pflanzenmedizin bei bester Gesundheit ein sehr hohes Alter erreichte. In seiner bereits erwähnten Naturkunde erwähnt Plinius eine Fülle pflanzlicher Wirkstoffe und überliefert uns auch das Rezept des berühmten "Theriak", einer Art Allheilmittel aus Opium, Baldrian, Myrrhe und anderen Zutaten. Mit ihm hatte sich übrigens der vermutlich an Magenkrebs leidende Kaiser Mark Aurel zu kurieren versucht, bevor er in Wien seinem Leiden erlag. In Erdproben des Legionslagers von Neuss ließen sich unter anderem das Bilsenkraut nachweisen, das zur Schmerzbetäubung und einer Art primitiver Narkose diente und das Tausendgüldenkraut, welches man zur Wundbehandlung benutzte. Die antike Pflanzenmedikamente lebten übrigens in den Klöstern fort, wo man einen Auszug aus dem Werk des Plinius, die "medicina Plinii" eifrig benutzte.

Woran auch immer Florentinus gelitten haben mag, das Heilen war viel mehr als heute eine Glücksache. "Wer heilt, hat Recht", so lautet ein in der Antike geprägter und auch heute noch gerne von Medizinern gebrauchter Spruch. Fortuna, das Glück, war Zosimus und Florentinus gewogen: Der Patient überlebte und genas, der Arzt war von schwerer Sorge befreit und seine ohnehin unsichere Reputation fürs erste gerettet.

Margit Kuhn

Literatur:
Marion Giebel, Treffpunkt Tusculum, Reclam 1995 (dort S. 163-180 über Plinius den Älteren)
Hartmut Matthäus, Der Arzt in römischer Zeit. I. Teil, (Veröffentlichung des Limesmuseum Aalen), Winnenden 1987
ders., Der Arzt in römischer Zeit, Medizinische Instrumente und Arzneien, (Veröffentlichung des Limesmuseum Aalen), Winnenden 1989

Petroniusstein in der Römerstraße 41

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