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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Obernburger Obstbau im Wandel der Zeiten

Wenn heutzutage vom Obstbau die Rede ist, denkt man häufig an die ökologische Vielfalt von Streuobstwiesen, die in diesen Biotopen herrscht. Der Ertrag soll dabei nicht die wichtigste Rolle spielen. Im Herbst 2010 regte ein regionaler Apfelmarkt in Obernburg viele Besucher an, sich wieder mehr für unsere einheimischen Apfelsorten zu interessieren, weil sie ein Beitrag zur gesunden Ernährung und zum genussvollen Essen sein können. Dass noch vor einigen Jahrzehnten der Obstanbau für viele Obernburger eine tragende wirtschaftliche Bedeutung hatte, ist dabei nur noch wenigen Zeitgenossen bewusst.

Wachsende Bedeutung des Obstanbaus im 19. Jahrhundert
Als Obernburg im Jahre 1814 Teil des Königreich Bayern wurde, setzte allmählich der Niedergang des Weinbaus ein, der viele Jahrhunderte auch eine Haupteinnahmequelle der Obernburger war. Die bayerische Regierung förderte deshalb die Pflanzung von Obstbäumen, da sich dafür am Untermain günstige klimatische Bedingungen boten. Die königlichen Landrichter forderten deshalb immer wieder die Bauern auf, abgestorbene Obstbäume durch „wächsige und geeignete“ zu ersetzen. Der städtische „Sachversteher“ Franz Lux berichtete z. B. dem Landgericht, dass in den Jahren 1829 und 1830 79 neue Apfel-, 20 Birn- und 29 Nussbäume gesetzt worden seien. Nicht nur in Hausgärten und in Ortsnähe pflanzten die Landwirte diese Bäume, sondern überall in der Feldflur entstanden Obstanpflanzungen. Da um diese Zeit immer mehr Weinberge aufgelassen wurden, trat an ihre Stelle Früh-, Stein- oder Buschobst. In flacheren Lagen pflanzte man Apfelhochstämme an. Der Obstanbau wurde staatlicherseits gefördert, aber auch in amtlichen Statistiken genau erfasst.

So zählten im Jahr 1913 die beauftragten Obstbaumzähler 7.587 Apfel-, 708 Birn-, 1.474 Zwetschgen-, 97 Kirsch-, 10 Aprikosen-, 71 Pfirsich- und 130 Nussbäume auf der Obernburger Flur und in den Hausgärten.

Diese Entwicklung war in vielen anderen Orten des Untermaingebietes ähnlich.

Keltern Obstbaumzaehlungsliste 19131201

Wohin mit all den Obsternten?
Einen Teil der zunehmenden Ernteerträge brauchte die wachsende Bevölkerung zu ihrer eigenen Versorgung. Überschüsse verkauften die Bauern oft an Händler, die sie auf die Märkte von Frankfurt, Offenbach oder Aschaffenburg brachten. Interessant sind dabei die damals hohen Preise, die z. B. für qualitätvolles, handverlesenes Obst bezahlt wurden: 10 bis 12 Goldmark kostete ein Zentner Tafeläpfel, 2,50 Mark Mostäpfel und 12 bis 15 Mark Birnen. Ein Pionier dafür, dass sich der Obstbau immer mehr zu einer einträglichen Erwerbsquelle für die Landwirte entwickelte, war der Frühmesser oder auch Benefiziat genannte Ludwig Benkert (1839 bis 1915) (Obernburger Blätter Nr. 11). Er hatte nur wenige Pflichten als Geistlicher zu erfüllen, setzte sich aber desto mehr für die Förderung des Obstbaus und die genossenschaftliche Vermarktung der Ernten ein. Sein bleibendes Verdienst war 1882 die Gründung des Bezirksobstbauvereins und 1890 die Gründung der Obstverwertungsgenossenschaft OVGO (Obernburger Blätter Nr.3).

Keltern OVGO Panorama2
Keltern OVGO-Werbung

Das obere Bild zeigt die frühen OVGO-Gebäude, das Bild darunter OVGO-Werbung.

Rechts ist ein bei der OVGO angehäufter Berg mit zu kelternden Äpfeln zu sehen.

 

Damit konnten die Obstbauern Händler umgehen und die Ernten genossenschaftlich vermarkten oder sie zu Apfelwein oder -saft, Schaumwein, Gelee oder Marmeladen weiterverarbeiten lassen. Die Produkte der OVGO bekamen bald einen so guten Ruf, dass Tafelobst z. B. bis nach Paris verkauft wurde.

“Amerika” als städtisches Mustergut

Keltern Amerika2
Keltern OVGO Berg Aepfel
Keltern Amerika2 (2)

Auch die Stadt Obernburg stieg um 1920 in das Geschäft mit dem Obstbau ein. Auf dem 8 ha großen Grundstück in der Flurabteilung „Grundtanne“, das bald volkstümlich „Amerika“ genannt wurde, wurden im Verlauf einiger Jahre etwa 800 Apfelbäume gesetzt. Lange Jahre war das eingezäunte Obstgut an Heinrich Schollmayer verpachtet. 1936 übernahm aber die Stadt die Bewirtschaftung und baute es zu einem Mustergut aus. Selbst städtische Beamte mussten bei der Ernte im Einsatz sein und die handverlesenen Äpfel in Kisten verpacken.

Die Erlöse aus den Verkäufen sollen damals sogar öfters größer gewesen sein als die Erträge aus dem Stadtwald. Noch heute lässt sich über die Entstehung des Namens „Amerika“ für dieses Obstgut streiten. Konnte man mit dem Verkauf der Äpfel so reich werden wie sonst nur in Amerika? Oder kam einem der drei km lange Weg von der Stadtmitte dorthin mit dem Fuhrwerk so weit vor wie nach Amerika?

Erzeugungsschlachten beim Obstbau im Dritten Reich
Ein besonderer Aufschwung des Obstbaus in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts ist mit dem Namen des Bezirksfachberaters Josef Seitzer verbunden, der ab 1932 am Landratsamt tätig war. Allerdings fällt sein Wirken auch mit der Autarkiepolitik des Dritten Reiches zusammen, deren Ziel es war, Deutschland unabhängig von ausländischen Einfuhren zu machen. Der Bezirksobstbauverein gab konkrete Ziele vor: Alte, ertragsschwache Bäume sollten „entrümpelt“, nicht marktfähige Sorten sollten durch „Aufpfropfungen“ veredelt und marktgerecht gemacht werden. „Jeder kann eine Rente aus dem Obstbau nur erzielen, wenn er Obstbau nicht nach den Mengen, sondern nach dem Qualitätsgrundsatz betreibt…. Ungeeignete Sorten sollten nicht mehr auf ‚wertvollstem deutschem Boden‘ gezüchtet werden“, gab Seitzer als Motto aus. In Eisenbach setzte man 1933 auf 27 ha Mirabellenbäume, in Obernburg zählte man im Jahre 1934 schon 18.035 Apfel- und 2.525 Birnbäume.

Keltern Apfelbluetenfest 1939

Kein Wunder, dass das Apfelblütenfest ab dem Jahre 1931 gerne gefeiert wurde. ( Obernburger Blätter Nr. 5)

Allerdings wurde aber der Obstbau im Jahre 1939 mit Abgabeverpflichtungen bei der Bezirksab-gabestelle für Obst (BAST) belegt. In Obernburg wurde mit der Durchführung der Darlehens-kassenverein unter der Leitung von Josef Reis beauftragt. Bis Kriegsende nahm der Druck der Erzeugungsschlachten beim Obst- und Gartenbau derart zu, so dass z. B. 80% einer Ernte von Tafel- und Mostobst abgeliefert werden mussten und nur 20% für den Eigenbedarf übrig blieben.

Ebbelwoi“ als beliebtester Haustrunk

In der Kriegs-, aber auch in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit war für viele Obernburger Familien der Besitz von Obstbäumen ein wichtiger Bestandteil der Ernährung. Selbst gemachte Marmeladen, Gelees, eingemachtes Obst oder Apfelsaft mussten oft für ein ganzes Jahr reichen. Obernburgs Keltereien liefen im Herbst auf Hochtouren. Alfred Müller, Theodor Wilzbach, Rudolf Elbert und der Küfer Wilhelm Reichert zermahlten im Lohnverfahren die Mostäpfel und pressten sie aus. Die OVGO und Hans Dier, später Herbert Dier kelterten und vertrieben die Getränke auf eigene Rechnung. Köstlicher Most floss dann in die frisch geschwefelten Holzfässer in vielen Kellern. In zahlreichen Familien war der Ebbelwoi der übliche Haustrunk.
 

Das Bild zeigt, dass die ganze Familie bei der Apfelernte helfen musste.
(Quelle: Museen der Stadt Miltenberg)

Keltern Familie am Baum
Keltern Elbert103 Keltern Elbert104
Keltern Elbert101 Keltern Elbert102
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Keltern Elbert105 Keltern Elbert Rudolf 06

Diese aus einem Super-8-Film entnommenen Bilder zeigen den Arbeitsablauf in der Kelterei Elbert:
Anlieferung – Waschen – Mahlen – Presse füllen – Pressen – Most in Fässer zum Abtransport füllen
(Rudolf Elbert ist auf den beiden unteren mittleren Bildern zu sehen)

Keltern Dier Hans und Herbert
Keltern Dier Werbung 2
Keltern Dier Herbert leert Äpfel aus Keltern Kelterei Dier Otto Wollbeck an alter Presse groß

Die Bilder zeigen Hans und seinen Sohn Herbert Dier sowie Otto Wollbeck bei der Arbeit an der Kelterpresse in der Kelterei Dier.

Der Rückgang des Obstbaus und seine Ursachen
In den fünfziger Jahren setzte eine rege Neubautätigkeit rund um die Altstadt Obernburgs ein. Viele Hausgärten und Obstbaumgrundstücke wurden umgenutzt. Landwirte legten die durch Erbteilung zerstückelten Grundstückflächen zusammen, um ihre immer größer werdenden Maschinen einzusetzen. Obstbäume waren da oft ein Hindernis und wurden beseitigt. Auf manchen Grundstücken wurden Bäume nicht mehr gepflegt, alte Bäume nicht mehr ersetzt. Die Höhe der Ernteerträge stand in einem schlechten Verhältnis zum Arbeitsaufwand bei der Pflege und Ernte der Obstbäume. In Nachbargemeinden entstanden Obstbaumplantagen mit leichter zu pflegenden Niederstämmen. Auch ausländisches Obst oder Südfrüchte konnte man ohne jede Anstrengung im Supermarkt kaufen. Bei einer der letzten Obstbaumzählungen im Jahre 1965 erfassten die amtlichen Zähler nur noch 12.500 Apfelbäume und 814 Birnbäume. Aber erst dann erfolgten die ganz großen Umlegungen auf den Obernburger Südhängen und der Bau der Umgehungsstraße mit der Beseitigung vieler Obstbäume. Ab 1975 stellte die Stadtverwaltung die amtlichen Zählungen ganz ein.

Das Mustergut „Amerika“ wurde ab 1966 zu einer Weide für bis zu 60 Schafe. Wilhelm Reichert nutzte die verwilderten Edelobstbestände nur noch für die Fallobsternte. Den Ebbelwoi, den er daraus gewann, schenkte er lange Jahre im Ebbelwoizelt beim Apfelblütenfest oder im Waldhaus aus.

Versuche der Stadtverwaltung in den achtziger Jahren, die 800 Apfelbäume wieder in einen guten Pflegezustand zu versetzen und an einzelne Privatpersonen zu verpachten, hatten keinen langfristigen Erfolg. Heutzutage erntet ein Demeterbetrieb aus einer hessischen Gemeinde durch Schütteln das Edelobst, das früher eine Kostbarkeit war.

Keltern Wilhelm Reicher alleine

Als letzte Obernburger Kelterei arbeitet Wilhelm Reichert (Bild links) nur noch für wenige Kunden, die meist ihre eigenen Äpfel zu Apfelsaft pressen lassen. Bei Zentnerpreisen von 4 bis 5 € im diesjährigen ertragreichen Apfeljahr lohnt sich die Pflege der Bäume und der Zeitaufwand bei der Ernte nicht mehr.

 

 

Seit einigen Jahren versucht Toni Vad in seiner „Apfelweinlaube“ in der Lindenstraße den Ebbelwoi wieder populär zu machen.

Helmut Wörn