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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Kriegsevakuierte, Heimatvertriebene und Flüchtlinge in Obernburg  (1944-1950)

Gegen Ende des 2. Weltkrieges kam es durch die Bombardierung deutscher Städte und Kriegshandlungen auf deutschem Gebiet zu einer zunehmenden Anzahl evakuierter Menschen und Flüchtlinge. Diese mussten vorzugsweise in ländlichen, weitgehend sicheren Gebieten im Kernbereich Deutschlands aufgenommen und versorgt werden. Zu der bereits einsetzenden Mangelwirtschaft kamen somit zusätzliche, teilweise einschneidende Belastungen auf die jeweilige örtliche Bevölkerung zu. Davon war auch Obernburg in der Zeit von 1944 bis zum Kriegsende 1945 stark betroffen. Bereits 1945 einsetzend, jedoch verstärkt ab Mitte 1946, mussten in einer zweiten Welle eine Vielzahl Heimatvertriebener aus den besetzten deutschen Ostgebieten wie Ostpreußen, Mecklenburg, Schlesien, dem Sudetentenland aber auch aus Ungarn aufgenommen werden.

Betrachtet wird in der nachfolgenden Darstellung die Aufnahme von Evakuierten, Kriegsflüchtlingen und Heimatvertriebenen in Obernburg im Zeitraum von 1944 bis 1950.

Bevölkerungsaufnahme in der Zeit von 1944 bis zum Kriegsende im Mai 1945
Ab 1943 führte die zunehmende Bombardierung der deutschen Großstädte zu einem dramatischen Verlust an Wohnraum. Am 19. April 1943 gab der Reichsminister für Propaganda, Joseph Göbbels, den Erlass über die "Umquartierung wegen Luftgefährdung und Bombenschäden" an alle verantwortlichen Dienststellen heraus. Umfangreiche Evakuierungsmaßnahmen, vor allem von älteren Menschen, Kindern und Mütter mit ihren Kindern erfolgten ab diesem Zeitpunkt. Vom Oktober 1944 bis November 1945 stieg in Obernburg die Zahl der Evakuierten von 208 auf 490 Personen an.

Neben den Evakuierten waren noch folgende Personengruppen untergebracht:

  • Deutsche Wehrmachtsangehörige
  • Kriegsgefangene
  • Flüchtlinge aus besetzten Gebieten
  • Flüchtlinge wegen Fremdeinwirkung (Flüchtlinge aus Frontbereichen)
  • Ausländische Zivilarbeiter (Personen u.a. aus Belgien, Frankreich, Polen, Russland, der Ukraine, anderen Ostgebieten und Italien)

Der Anteil der nicht ortsansässigen Bewohner stieg von 1944 bis Mai 1945 stetig von 22 auf 35 % an. Nach dem Kriegsende verlief die Rückführung der Evakuierten und Kriegsflüchtlinge in ihre alte Heimat nur schleppend. Vielen wurde die Rückkehr in ihre Heimat aufgrund von Zonengrenzen oder einfach durch die Überfüllung der Städte versagt. So nahm, wie die Tabelle 3 zeigt, die Zahl der evakuierten Personen nur langsam von 490 im November 1945 auf 287 im September 1946 auf schließlich 172 im Dezember 1949 ab. Sicherlich hat sich, aus verschiedensten Gründen, ein gewisser Anteil der Evakuierten entschieden, nicht mehr in die Heimat zurück zu kehren und die weitere Lebensplanung auf Obernburg ausgerichtet.

Personen untergebracht in Obernburg

25.10.44

25.11.44

25.12.44

25.1.45

25.2.45

Bombengeschädigte, Evakuierte

208

234

300

347

382

Rückführung wegen Fremdeinwirkung

47

68

81

84

90

Flüchtlinge aus besetzten Gebieten

-

-

-

-

32

Deutsche Wehrmachtsangehörige

75

83

86

87

87

Ausländische Zivilarbeiter

127

141

175

183

178

Kriegsgefangene

25

27

25

29

30

Sonstige untergebrachte Personen

68

77

77

80

82

Untergebrachte Personen: Total

550

630

744

810

881

 

 

 

 

 

 

Einheimische Bevölkerung (abgeschätzt)

2512

2512

2512

2512

2512

 

 

 

 

 

 

Anteil untergebrachter Personen in %

21,9

25,1

29,6

32,2

35,1

Tabelle 1:  Übersicht der in Obernburg einquartierten Personen in der Zeit von 1944-1945. (Aufstellung der Stadt Obernburg)

Struktur der ortsansässigen Bevölkerung im Januar 1946
Deutlich erkennbar ist der, im Kriegs- bzw. Nachkriegsfall übliche, erhöhte Überschuss des weiblichen Anteils der Bevölkerung über 12 Jahre.

 

Stand der Bevölkerung am 26. Januar 1946

                Total

Geschlecht

männlich

weiblich

 

Altersstufe

1 – 5 Jahre

5 – 12 Jahre

über 12 Jahre

1 – 5 Jahre

5 – 12 Jahre

über 12 Jahre

 

Ortsansässige Bevölkerung

85

176

849

77

170

1155

2512

 

 

 

 

 

 

 

 

Volkszählung

1950

3254

Tabelle 2: Struktur der ortsansässigen Bevölkerung (Aufstellung der Stadt Obernburg)

Aufnahme der Heimatvertriebenen in der Zeit von 1945 – 1950
Bereits 1943 auf der Konferenz in Teheran hatten sich die Alliierten grundsätzlich auf eine Westverschiebung Polens und einen Transfer aller Deutschen geeinigt. Ab Frühjahr 1946 setzte verstärkt die Vertreibung Deutscher aus ihren Heimatgebieten wie Pommern, Ostbrandenburg, Ostpreußen, Schlesien, dem Sudentenland sowie Ungarn ein.

Die Koordination der Flüchtlingstransporte nach Obernburg erfolgte in der Regel durch das Rote Kreuz und den zuständigen Flüchtlingskommissar des Landkreises Obernburg.

Die Heimatvertriebenen kamen am Bahnhof Obernburg an. Per Lastwagen wurden sie in die, als Durchgangsstation gedachten, Sammelunterkünfte im Saal des Gasthauses "Hirschen" sowie der Stadthalle gebracht. Dort erfolgte die Registrierung der Personen und soweit kurzfristig möglich, die Zuweisung einer Unterkunft in Obernburg durch den Flüchtlingskommissar. Bei verfügbarem Wohnraum in Nachbargemeinden des Landkreises Oberburg erfolgte eine Unterbringung auch dort.

Die Zahl der in Obenburg wohnhaften Heimatvertriebenen stieg von 269 im September 1946 auf 437 im März 1948 an. Eine weitere Zunahme auf 552 Personen wurde durch die Lockerung der Reise- bzw. Wohnortbeschränkungen in der amerikanischen, britischen und französischen Zone im Jahre 1949 ausgelöst. Hier handelte es sich hauptsächlich um eine Binnenwanderung im Zusammenhang mit Familienzusammenführungen sowie dem Zuzug aus strukturschwachen Gebieten im Hinblick auf die Erlangung eines Arbeitsplatzes.

Unter Einbeziehung der zusätzlich noch in Obernburg wohnenden Evakuierten stieg der Anteil der nicht ortsansässigen Einwohner von 22 % im September 1946 auf 29 % im Dezember 1949 an.

Bevölkerungsanteil

22.9.1946

29.12.1947

20.3.1948

19.12.1949

 

Personen

Personen

Personen

Personen

Evakuierte aus

 

 

 

 

Nicht bayrischer US-Zone

78

23

23

11

Berlin

19

17

17

24

Britischer Zone

77

48

48

24

Russischer Zone

25

27

27

36

Französischer Zone

14

11

11

11

Bayern

74

91*

91*

66**

Insgesamt

287

217

217

172

 

 

 

 

 

Flüchtlinge aus

 

 

 

 

Östlich Oder und Neiße

88

101

100

168

Tschechoslowakei

171

236

234

271

Ungarn

-

75

80

99

Österreich

10

10

10

14

Übriges Ausland

-

13

13

-

Insgesamt

269

435

437

552

 

 

 

 

 

Ausländer

5

9

6

8

 

 

 

 

 

Zuzug nach Obernburg

561

661

660

732

 

 

 

 

 

Einheimische Bevölkerung

2512***

2502

2504

2518

 

 

 

 

 

Gesamteinwohnerzahl

3073

3163

3164

3250

 

 

 

 

 

Anteil zugezogener Bevölkerung in %

22,3

26,4

26,4

29,1

*67 Personen aus Unterfranken  **53 Personen aus Unterfranken  *** 26.Januar 1946

Tabelle 3: Übersicht der in Obernburg einquartierten Heimatvertriebenen und Evakuierten in der Zeit von 1946 – 1949 (Aufstellung der Stadt Obernburg)

Organisatorische Anordnungen für das Flüchtlingswesen
Am 19. Februar 1946 wurde vom Landrat und dem Flüchtlingskommissar ein Merkblatt für das Flüchtlingswesen veröffentlicht. Im Wesentlichen handelte es sich um Richtlinien zur Registrierung, Verpflegung und ärztlichen Betreuung.

Unter dem Sammelnamen „Flüchtlinge“ wurden alle bezeichnet, die seit Kriegsbeginn in Auswirkung des Krieges zugezogen waren, also Evakuierte, Bombengeschädigte und Ausgewiesene. Nachfolgend sind auszugsweise die wichtigsten Punkte des Merkblattes zusammengefasst:

Flüchtlingsbericht: Er ist 14-tägig zu erstellen.

Flüchtlingsmeldung:
Sie ist anhand eines Formblattes von Fall zu Fall mit folgenden Angaben zu erstellen:

  • Familienname und Vorname
  • Geburtsdatum und Geburtsort
  • Letzter Wohnort
  • Regierungsbezirk bzw. Provinz

Als bekannt wird vorausgesetzt, dass grundsätzlich jeder Zuzug ohne schriftliche Zuzugsgenehmigung verboten ist.

Gemeinschaftsverpflegung:
Bedingt durch die Tatsache, dass die Flüchtlinge infolge fehlender Wirtschaftsartikel nicht in der Lage sind selbst zu kochen, ist eine Gemeinschaftsverpflegung vorgeschrieben.  Die zur Gemeinschaftsverpflegung erforderlichen Lebensmittel werden zum Teil vom Verpflegungslager in Aschaffenburg zur Verfügung gestellt. Es handelt sich hierbei um kostenlose Anlieferung von Butter, Margarine, Nährmittel, Kaffee-Ersatz, Zucker, Marmelade und Käse. Die restlichen Lebensmittel wie Brot, Fleisch, Kartoffeln und Milch sind in den Gemeinden zu beziehen. Die entstandenen Kosten werden vom Bürgermeister erstattet. Er reicht die Rechnungen zur weiteren Vergütung an das Landratsamt ein.
Als Backlohn für 1 kg Brot wurden 0,08 Reichsmark (RM) angerechnet.

Die Teilnahme an der Gemeinschaftsverpflegung ist für Flüchtlinge kostenlos. Ein Entgelt von 0,50 RM/Tag ist nur von Teilnehmern zu erheben, die in Arbeit stehen. Ein Ausscheiden von der Gemeinschaftsverpflegung ist nur dann möglich, wenn die Flüchtlinge in der Lage sind sich selbst zu versorgen. Die Ausgabe der Verpflegung erfolgte in der Stadthalle oder im Gasthof "Hirschen". Anzumerken ist, dass bis zur Währungsreform 1948 die wichtigsten Nahrungsmittel begrenzt verfügbar waren und zum Teil nur anhand von Lebensmittelmarken bezogen werden konnten.

Vertrauensmann:
Wahl eines Vertrauensmannes unter den Flüchtlingen, der als Vermittler zwischen dem Bürgermeister und dem Flüchtlingskommissar fungiert.

Ärztliche Betreuung:
Ab dem 18.10.1945 wurden die Flüchtlinge in eine Krankenversicherung aufgenommen. Die Apothekenkosten waren für Personen ohne Einkommen kostenlos. Für die ärztliche Betreuung wurde 1946 der Amtsarzt in Elsenfeld benannt.

Beschaffung von Wohnraum
Bereits 1944 mussten 550 nicht ortsansässige Personen in Obernburg untergebracht werden. Seitens der Regierung wurde 1943, in Erwartung der kommenden Evakuierungsmaßnahmen und Flüchtlingsbewegungen, die Erstellung von so genannten Behelfsheimen durch Privatpersonen auf eigenem Grund und Boden gefördert. Sie waren eingeschossig und wurden auf einer betonierten Bodenplatte aus Betonfertigteilen erstellt. Die Lieferung der Fertigteile erfolgte gegen Bezugsschein. Jedes Heim verfügte über vier bewohnbare Räume.

Auch in Obernburg wurden, ohne besondere Baugenehmigung, kurzfristig insgesamt 7 Behelfsheime in folgenden Straßen erstellt.

Anzahl Behelfsheime

Straße

1

Runde-Turm-Straße

1

Katzental

3

Bergstraße

1

Kastellstraße

1

Brunnenstraße

Tabelle 4:  Anzahl der Behelfsheime in Obernburg

Bei einer Belegung von anfänglich ca. 10 Personen je Behelfsheim wurde somit ein zusätzlicher Wohnraum für 70 Personen geschaffen.

Ehemaliges Behelfsheim Ecke
Runde-Turm-Straße/Bergstraße
an der “Himmelsleiter”

Zum Kriegsende, im Mai 1945, brachen vorübergehend die örtlichen Verwaltungsstrukturen zusammen. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene, Soldaten, Kriegsflüchtlinge und Evakuierte verließen die Stadt. Gleichzeitig kamen in der Nachfolgezeit Kriegsheimkehrer und in großer Zahl Heimatvertriebene an.

Vom April 1945 bis zum 30. Juni 1947 wurden der Landkreis und die Stadt Obernburg dem „Militär Government Obernburg“ unterstellt. Die amerikanische Militärverwaltung befand sich im Lehrerhaus in der Römerstraße 85. Langsam entstand wieder eine bürokratische Struktur mit ausreichender Kompetenz zur Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge.

Zur Beschaffung von Wohnraum wurde eine Zwangsbewirtschaftung vorgenommen. Eine Wohnungskommission sichtete alle Häuser und Wohnungen im Ort. Nach Festlegung des Eigenbedarfs des Eigentümers wurde der weitere Wohnraum beschlagnahmt und für die Wohnungssuchenden freigegeben.

Des weiteren wurden die Eigner der Gasthöfe in Obernburg angewiesen zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Insgesamt wurde die Kapazität um 69 auf 166 Betten erhöht.

Lfd. Nr.

Gasthaus

Straße

Betten

bisher

zusätzlich

gesamt

1

Zur Traube

Römerstraße 83

8

6

14

2

Zum Hirschen

Römerstraße 61

16

6

22

3

Zum Anker

Mainstraße 3

13

12

25

4

Zum Karpfen

Mainstraße 8

7

7

14

5

Zum Braustüberl

Römerstraße 54

6

-

6

6

Zum Ochsen

Römerstraße 42

1

1

2

7

Zum Bayerischen Hof

Römerstraße 43

20

23

43

8

Zum Löwen

Römerstraße 32

8

5

13

9

Zur Sonne

Römerstraße 18

10

8

18

10

Zur Altdeutschen Weinstube

Römerstraße 3

6

1

7

11

Ludwigskeller

Römerstraße 1

2

-

2

 

 

 

 

 

 

 

Summe

97

69

166

Verfügung 371/46 vom 22. Juli 1946
Tabelle 5: Erweiterung der Bettenanzahl der Gasthöfe in Obernburg

Neben der Zwangsbewirtschaftung der Wohnungen wurde bis 1948 eine relativ strikte Wohnortbeschränkung erlassen. Ein Ortswechsel, zum Beispiel Evakuierter, war ohne schriftliche Zuzugsgenehmigung kaum möglich. Die Aufhebung dieser Beschränkung im Jahr 1948 führte zu einer regen Binnenwanderung innerhalb der westlichen Verwaltungszonen. Durch Zuzug nahm die Einwohnerzahl um weitere 115 Personen zu (siehe Tabelle 3).

 

Abschließende Anmerkungen
Bei einer bereits vorherrschenden Mangelwirtschaft gegen Ende des Zweiten Weltkrieges musste auch Obernburg einer großen Anzahl nicht ansässiger Einwohner Unterkunft gewähren. Nach dem Kriegsende kam es durch den Zustrom der Heimatvertriebenen keineswegs zu einer Entspannung dieser Notlage. Im Jahr 1949 erreichte der Anteil der nicht ortsansässigen Bürger mit 29 % den höchsten Wert. Neben der Mangelwirtschaft, der hohen Arbeitslosigkeit und vor allem bei der Wohnraumbeschränkung in den ersten Nachkriegsjahren mussten alle Bürger sehr hohe Belastungen auf sich nehmen. Dies führte sicherlich in der ersten Zeit zu gewissen ökonomischen, sozialen und politischen Spannungen zwischen der ortsansässigen Bevölkerung und den vielen neu aufgenommenen Bürgern.

Mit der zunehmenden positiven wirtschaftlichen Entwicklung in den 50er Jahren standen andererseits mit den Heimatvertriebenen gut ausgebildete Arbeitskräfte zur Verfügung, die zum Aufschwung des Landes mit beitrugen.

Inzwischen sind die in Obernburg verbliebenen Evakuierten und Heimatvertriebenen voll in der Ortsgemeinschaft integriert und haben hier eine neue Heimat gefunden.

Wolfgang Peschke

 

Quellen: Archiv der Stadt Obernburg. Ablage EAPL 460