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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Wie Obernburger 1945 das Kriegsende erlebten
Im Kriegsjahr 1944 näherten sich die Fronten der Alliierten den Grenzen des Deutschen Reiches. Die Bomberflotten der Westmächte griffen verstärkt Städte, Industrieanlagen und Verkehrswege an. Auch Orte wie Obernburg wurden nun zu Zielen feindlicher Flieger. Im Frühjahr 1945 kam die Westfront unserem Gebiet näher. Die 3. US-Armee unter General Patton überquerte nämlich am 23. März 1945 den Rhein bei Oppenheim und kämpfte sich durch Odenwald und Untermainebene kaum gehindert von schwachen Kräften der Wehrmacht an den Main vor. Eine Panzerspitze erreichte am Palmsonntag, den 25. März, bereits Aschaffenburg. Aus dem Mömlingtal rückten die amerikanischen Truppen in Richtung Obernburg vor.

Die damals 74jährige Wilhelmine Wörn, Frau des langjährigen Bürgermeisters Heinrich Wörn (1919 bis 1933), schrieb in diesen Tagen in einem mehrseitigen Manuskript  (aus dem im folgenden wörtlich zitiert wird) auf, wie sie persönlich das Kriegsende erlebte. Sie wohnte in der Mainstraße, wo im rückwärtigen Teil eine Lederfabrik gelegen war.

Bombentreffer in der Kaisergasse
„Als der Bombenterror auf die deutschen Städte und Menschen begann, war der 19. Februar 1945 der 1. Schicksalsschlag für unser friedliches Mainstädtchen. Man ist der Meinung, dass der Bombenterror wohl der Mainbrücke und den seit längerer Zeit dort liegenden Mainschiffen, welche gut getarnt waren und in denen man Treibstoff vermutete, sowie dem in der gleichen Richtung liegenden Bahnhof oder den Glanzstoffwerken galt. Wohl zu früh ausgeklinkte Bomben trafen die Kaisergasse, welche nachher ein Bilder der Verwüstung bot. Aber auch die in der Nähe liegenden Straßen bekamen mehr oder weniger davon ab. Ganz Obernburg hatte zertrümmerte Fensterscheiben, die Kirche nicht ausgenommen. In der Römerstraße waren sämtliche Schaufenster zersprungen. Unser Rückgebäude, das an der Kaisergasse liegt, wurde abgedeckt und über 100 Fensterscheiben gingen in Trümmer. Der Hof war mit Ziegeln und Glasscherben bedeckt, selbst im Wohnhaus waren 32 Scheiben zertrümmert. Jede Familie bekam drei Fenster gemacht. Da vier Familien z. Zt. im Haus wohnen, bekamen wir zwölf Fenstergläser ersetzt. Die übrigen wurden mit Pappdeckeln zugenagelt.“
Bei dem Angriff starb auch der zehnjährige Eduard Probst aus der Kaisergasse 3 durch ein umstürzendes Scheunentor. Es wurden auch Vermutungen laut, dass die nur 50 Meter entfernte Lederfabrik eigentlich Ziel des Bombenangriffs gewesen sein könnte. Noch heute ist auf der Fläche des zerstörten Hauses in der Kaisergasse ein freier Platz.

Leben im Luftschutzkeller
Frau Wörn berichtete weiter: „Heute ist Ostersonntag. Schon fast drei Wochen ist man hier in unserem Landstädtchen nicht mehr sicher. Die Flieger ziehen in immer größeren Verbänden bei Tag und Nacht über uns hinweg. Die Sirene ruft uns oft in den Luftschutzkeller. Wir haben uns dort im eigenen Haus den Mittelgang als sichersten Aufenthalt erwählt und für Sitzgelegenheiten gesorgt. Der Luftschutzkeller ist dadurch ein Unterkunftsraum für unsere Kleider, für allerhand Kisten, Koffer und Pakete, Betten, Gemälde und für alles, was man braucht und gerne später gerettet haben möchte, geworden. Ein großes Bett ist aufgeschlagen für unsere zwei Enkelkinder mit ihrer Mutter. Sie haben schon manche Nacht darin zugebracht. Morgens werden dann die Kissen und Decken wieder herauf geschleppt wegen der feuchten Kellerluft und in der spärlichen Sonne gelüftet. Bald sind wir die reinsten Höhlenbewohner geworden.“

Sprengung der Mainbrücke
„In der Nacht des Palmsonntag auf Montag gingen Vater und ich auf Drängen unserer Kinder in die OVGO. Es sollte nämlich die Mainbrücke gesprengt werden. Wenn es ums Fortlaufen ging, wäre es für uns alte Leute unmöglich sich schnell in Sicherheit zu bringen. Mein Mann steht im 82. und ich im 75. Lebensjahr. Unser Haus steht direkt an der Mainbrücke, so dass schwere Erschütterungen zu erwarten waren. Also machten wir uns morgens früh mit dem Nötigsten bepackt auf den Weg. Wir gingen durch den Hof und schauten nochmals zurück auf unser aufgebautes Lebenswerk.
Vielleicht sehen wir es zum letzten Mal - so dachten wir. Dann liefen wir festen Schrittes durch die Trümmer der Kaisergasse und kamen mit Tränen in den Augen an der OVGO an. Um ¾ 5 Uhr erfolgte die Sprengung, deren Detonation sogar in den unterirdischen Räumen zu spüren war. Wir waren im Privatkeller der Familie des Direktor Oberle, worüber sich noch ein Keller befand. Eine große Anzahl von Obernburger Familien hatte sich bereits darin häuslich eingerichtet. Gegen 7 Uhr hatten sich schon die meisten von ihnen von ihrem provisorischen Lager erhoben und kochten auf mitgebrachten Herdchen elektrisch ihren Kaffee oder Tee..... Es war bitterkalt da unten, aber wenigstens bombensicher. Gegen 8 Uhr machten wir uns auf den Heimweg. Unser Anwesen stand noch auf seinem Platz. Den starken Erschütterungen hatte es - Gott sei Lob und Dank - Stand gehalten.“

Zerstörte Mainbrücke
Durch die Vernichtung der Pfeiler zwei und drei stürzte die Fahrbahn ins Wasser. Nur der linke Schleppträger blieb mit seinem Aufleger am Pfeiler eins hängen, während er mit dem Gelenkende im Wasser versank. Die Brückentrümmer, die zwischen Pfeiler zwei und drei lagen, wurden bald für die Freimachung der Schifffahrtsrinne geräumt. Erst im Juni 1947 wurde mit der Räumung der Reste der Pfeiler und des Stahlüberbaus begonnen. Der Main wurde mit der Fähre überquert (Resi Priol).

Kriegsende Wörn OVGO Keller unter Gebäuden

OVGO-Keller unter den ehemaligen Fabrikgebäuden

Eingang in den OVGO-Felsenkeller, der 2005 bei der Neugestaltung des  OVGO-Geländes verschlossen wurde.

Einnahme der Stadt durch amerikanische Truppen
„Am Montag, 26. März, spitzte sich die Lage immer mehr zu. Allerlei Gerüchte drangen in unsere Stadt..... Die Amerikaner waren schon mit ihren Panzerspitzen bis nach Mömlingen vorgedrungen. Es drehte sich darum, ob unsere Stadt verteidigt werden sollte oder nicht. Das Ja und Nein wechselte ständig. Endlich entschied sich der Bürgermeister für die Freigabe der Stadt ohne Kampf und alle Bewohner atmeten erleichtert auf. Die Lage war immer noch bedrohlich. Vater und ich ließen uns Sessel in den OVGO-Keller bringen. Wir nahmen auch Essen und unsere Koffer mit. Nachmittags um drei Uhr wanderten wir hinaus. Wir sahen uns auch den Felsenkeller an. Dieser ist in 30 m Tiefe in den Felsen eingehauen. Wenn man am Eingang steht, kann man gar nicht sehen, wo das Ende desselben ist. Er ist elektrisch beleuchtet. Hier standen die Menschen dicht gedrängt aneinander mit Gepäck, Kind und Kegel. Es war so warm darin, als wenn angeheizt wäre, aber eine Luft zum Ersticken. Bis die Nacht herum war, waren wir wie erleichtert, denn es war uns absolut nicht möglich eine Zeitlang zu schlafen. Glücklich waren wir, als es Morgen war und wir den Heimweg antreten konnten. Am Mittwochnachmittag (28. März) gegen vier Uhr trafen die Amerikaner ein. Die ganze Stadt stand von ihren Panzern voll.
Die Stadt wurde kampflos übergeben und alle waren froh, unter einem gewissen Schutz zu stehen.“

Brände im Winkelhof
„Gegen Abend um sieben Uhr fühlte sich unser Militär oder Hitlerjungen aus Ärger über die Übergabe der Stadt bemüßigt von jenseits des Mains einige Brandbomben in unsere Stadt zu werfen, welche einen riesigen Brand verursachten. Alle Hintergebäude von Leo Vad (Kobengasse) und Gasthof Sonne (heutige Kreissparkasse), sowie die Gebäude des Winkelhofes waren ein einziges Flammenmeer. Nur das Vieh konnte gerettet werden. Die Amerikaner schossen die ganze Nacht als Vergeltung hinüber, aber drüben wurde fast nichts mehr erwidert. Wir konnten natürlich die ganze Nacht nicht zur Ruhe kommen, denn an das fortwährende Dröhnen der Geschütze muss man sich erst gewöhnen. Noch ein neu gebautes Haus, das an dem Fußpfad stand, welcher von der OVGO zum Friedhof führt (heutige Dr.-Zöller-Straße) wurde in Schutt und Asche gelegt. Die Leute befanden sich im OVGO-Keller, nur die 95-jährige Mutter wollte nicht mit und lag schon im Bett. Sie verbrannte und war das einzige Todesopfer.“

Mainüberquerung der Amerikaner
„Am Gründonnerstag, den 29. März, wurde den ganzen Tag von den Amerikanern in den Spessart geschossen, da sich dort noch viele deutsche Truppen aufhalten sollten. Auch in der Nacht zum Karfreitag wurde ununterbrochen weiter geschossen. Das Feuer wurde aber nicht mehr erwidert, wahrscheinlich wegen dem Abzug der Soldaten oder aus Munitionsmangel. Am Karfreitag (30. März) sammelten sich die amerikanischen Panzer in der Römer- und Mainstraße. Es wimmelte von Soldaten, bepackt mit allem Möglichen, die dicht gedrängt auf die Fahrzeuge kletterten. Sie fuhren in den Main und setzten als Schiffspanzer ans andere Ufer über.“

Neues Leben nach dem Zusammenbruch
„Die ganze Woche wurde in den Betrieben nicht gearbeitet. Die Glanzstoff ist erledigt.... Die ganze Woche ging weder Bahn noch Post, weder Telefon und Telegraf. Wir haben kein Licht. Wie es mit den Nahrungsmitteln wird, wissen wir nicht..... Neue Bestimmungen wurden ausgeschellt. Anton Reis ist neuer Bürgermeister. Von heute, 4. April, geht also ein neues Leben an. Alle Arbeiter haben ihren Arbeitsplatz aufzusuchen. Wer keinen hat, soll sich im Rathaus melden.... Obernburg hat nur mit Booten Verbindung zum anderen Mainufer. Der verflossene Nazi-Bürgermeister (Heinrich Störrlein) ist noch hier, die anderen Bonzen sind geflohen...... 22. April, Weißer Sonntag: Obwohl man ja nichts kaufen kann, waren alle Kinder so gut gekleidet, dass man fast vergessen möchte, dass uns noch schwere Schlachten umtoben.“

Helmut Wörn

Genauere Berichte über das Kriegsende um Obernburg finden sich in folgenden Publikationen:
Alois Stadtmüller, Maingebiet und Spessart im zweiten Weltkrieg, 1982
Leo Hefner, 1900 Jahre Obernburg am Main, 1984
Josef Weiß und Winfried Müller, Das Kriegsende 1945

Am 25./26. April 1944 erfolgte ein Fliegerangriff, bei dem das in der Miltenberger Straße gelegene Schnatz’sche Anwesen durch eine Luftmine zerstört und die umliegenden Gebäude mehr oder weniger stark beschädigt wurden.