hvvlogosw

Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

Inhaltsverzeichnis

Startseite

Vereinsziele, Vorstand

Vereinsgeschichte

Obernburger Geschichte/n

Römische Geschichte/n

Bauwerke und Gebäude

Persönlichkeiten

Mundart

Aktivitäten

Tanz- und Kostümgruppe

Links

Impressum

Beitrittserklärung

banner_hvv

Der Landwirtschaftliche Kreditverein Obernburg (1875-1933)

Im 19. Jahrhundert verarmten in Deutschland breite Bevölkerungsschichten. Von den Folgen der Industrialisierung und eines starken Bevölkerungswachstums waren neben der neu entstandenen Arbeiterklasse auch die ländliche Bevölkerung und das Handwerk betroffen. Industrielle Produktion und Einfuhren aus dem Ausland erhöhten den Wettbewerb für Handwerker und Bauern. Ein Hindernis für die dringend notwendigen Modernisierungsinvestitionen dieser Bevölkerungskreise war die unzureichende Kreditversorgung. Großbanken und Sparkassen gewährten kaum Kredite. Einzige Finanzierungsquelle waren oft private Geldverleiher, die nicht selten sehr hohe Zinsen verlangten und viele Höfe in den Ruin trieben.

Im Amtsbezirk Obernburg setzte die Industrialisierung zwar erst spät ein. Trotzdem hatte die Region unter den Folgen von Industrialisierung und Bevölkerungswachstum zu leiden. Vor allem im Spessart konnte die Landwirtschaft die Menschen kaum ernähren. Der landwirtschaftliche Bezirksverein beklagte das „kecke Auftreten des Wuchers, der gerade im Bezirk Obernburg mit Riesenschritten zur völligen Verschuldung des Grundbesitzers zu führen drohte“. Daher initiierte der Verein die Gründung einer Kreditgenossenschaft nach dem Vorbild von Hermann Schulze-Delitzsch. Dieser hatte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts erste Kreditvereine als Selbsthilfeeinrichtungen für Handwerker gegründet. Die Idee, dass sich Handwerker zusammenschließen und ihre eigene Bank gründen, erwies sich als sehr erfolgreich. Eine von Schulze-Delitzsch verfasste Anweisung zur Gründung von Kreditvereinen förderte deren schnelle Verbreitung in ganz Deutschland und darüber hinaus.

In Obernburg wurde 1875 der Landwirtschaftliche Kreditverein errichtet. Er wollte mit der Gründung die Kreditversorgung für Landwirte und Handwerker im gesamten Amtsbezirk verbessern.

KreditVereinPeterKress

Der hohe Stellenwert der neuen Bank zeigte sich daran, dass der Obernburger Bürgermeister Peter Kreß (links) zum Vorstandsvorsitzenden gewählt wurde. Er begleitete dieses Amt bis zu seinem Tod Ende 1887.

 

Als Kassier wurde der angesehene Obernburger Kaufmann und Magistratsrat Franz Josef Büchold (rechts) ernannt.

KreditVereinFranz-Josef Buecholdt

Weitere Gründungsmitglieder waren vor allem Landwirte und Handwerker. Der Kreditverein entwickelte sich in den Anfangsjahren sehr gut. Die Zahl der Mitglieder stieg bis Ende 1897 auf 270 Personen, darunter 131 Landwirte, 48 Handwerker und 29 Kaufleute. Ausleihungen in Form von Wechseln, Bürgschafts- und Hypothekarkrediten erreichten im gleichen Jahr ein Volumen von 154.000 Mark. Die Mitglieder trafen sich jeweils im Frühjahr zur Generalversammlung – oft im Gasthaus Kunig. Der Vorstand berichtete über die Entwicklung der Geschäfte und man entschied über die Verwendung des erwirtschafteten Gewinns. Auch der landwirtschaftliche Bezirksverein berichtete, dass die Bank vom Publikum stark in Anspruch genommen wurde und mit sehr günstigen Abschlüssen arbeitete.

Allerdings konzentrierte sich die Geschäftstätigkeit hauptsächlich auf die Stadt Obernburg. In anderen Kommunen des Bezirks war die Bank weniger erfolgreich. Daher begann der landwirtschaftliche Bezirksverein ab 1878 damit, Darlehenskassenvereine nach dem Modell von Friedrich Wilhelm Raiffeisen zu initiieren. Bis Ende des Jahrhunderts wurden in den Gemeinden des Bezirks 26 Raiffeisen’sche Kreditgenossenschaften gegründet, die vor allem auf die Landwirtschaft ausgerichtet waren und meist auch den Landhandel betrieben. Zu den ersten Gründungen zählt der Darlehenskassenverein Wörth am Main, zu dessen Gründungsmitgliedern der Wörther Fabrikant Julius Fuchs gehörte, ein Schwiegersohn von Friedrich Wilhelm Raiffeisen. In Obernburg wurde im Jahr 1900 ein Darlehenskassenverein errichtet, Vorgänger der heutigen Raiffeisenbank Großostheim-Obernburg. Während sich der Landwirtschaftliche Kreditverein auf das reine Bankgeschäft beschränkte, handelte der Darlehenskassenverein auch mit Brennstoffen, Dünger sowie Saat und organisierte eine Dreschmaschine.

Aufgrund der neuen Konkurrenzsituation ging die Mitgliederzahl des Landwirtschaftlichen Kreditvereins bis Ende 1907 auf 174 Personen zurück. Das vergebene Kreditvolumen stieg allerdings auf 190.000 Mark. Dem Vorstand gehörten zu dieser Zeit Ernst Deckelmann und Adam Rupp an.

KreditVereinKarl Reiz

Aufsichtsratsmitglieder waren der Uhrmacher Karl Reitz (Bild links) und der Bäcker Ferdinand Platz. Unter deren Führung konzentrierte sich der Kreditverein stärker auf das Handwerk.

Die Mitgliederzahl wuchs bis 1915 auf 237 Personen und das Kreditvolumen erreichte 396.000 Mark. Außerdem wurde der Sparverkehr eingeführt und später in Eschau eine Filiale errichtet. Die Neuausrichtung der Bank zeigte sich auch in der Firmenbezeichnung, die zu Beginn der 1920er Jahre in Kredit-Bank e. G. m. u. H., Obernburg a. M., geändert wurde.

Die Hyperinflation 1922/23 brachte den Banken in Deutschland turbulente Zeiten, die erst mit der Währungsreform und der Einführung der Renten- bzw. Reichsmark beendet wurden. Danach normalisierte sich das Bankgeschäft wieder.

KreditVereinNotgeld1923

Auch die Kredit-Bank Obernburg entwickelte sich nach der Währungsreform zunächst erfreulich: Bis 1930 konnte die Kreditgenossenschaft ihren inzwischen 471 Mitgliedern eine konstante Dividende von 8 % ausschütten. Mit der Bankenkrise von 1931 änderte sich das jedoch grundlegend. Nach dem Zusammenbruch einer deutschen Großbank geriet der gesamte Bankensektor in eine tiefe Krise. Die Kunden verloren das Vertrauen und begannen damit, ihre Einlagen abzuziehen. Die abgehobenen Einlagen wurden daheim gehortet oder ausgegeben. Neueinzahlung gab es kaum, auch weil die Arbeitslosigkeit stark zunahm. Gleichzeit erschwerte die Wirtschaftkrise das Einziehen von Außenständen. Zahlreiche Banken, Sparkassen und Kreditgenossenschaften bekamen Liquiditätsschwierigkeiten.

KreditVereinAnton Reis 1933

 

Auch die Kredit-Bank Obernburg geriet in schwere Schieflage. Zum damaligen Zeitpunkt war Malermeister Anton Reis (links) Vorstand. Er sah sich gezwungen, am 10. Dezember 1933 zu einer außerordentlichen Generalversammlung ins Gasthaus zum „Hirschen“ in Obernburg einzuladen.

 

KreditVereinGeneralversammlungLiquidation

Reis berichtete den 130 erschienenen Mitgliedern, dass die Kredit-Bank noch liquide sei. Dadurch konnte ein Konkurs zwar vermieden werden. Für eine stille Liquidation mussten die Gläubiger aber auf Zinsen verzichten und die Mitglieder ihre Anteilsscheine erhöhen.

In der Diskussion unterstützte der Großwallstädter Bürgermeister Joseph Scherer den Vorschlag des Vorstandes ausdrücklich. Mit 128 zu zwei Stimmen beschloss man, die Geschäftsanteile von 50,00 auf 80,00 RM zu erhöhen und die Liquidation fortzuführen. Als Liquidatoren wurden Anton Reis, Obernburg, Oberlehrer Klug, Elsenfeld, und Bürgermeister Joseph Scherer, Großwallstadt, bestellt.

Durch die geordnete Auflösung konnte ein Konkursverfahren vermieden werden, das für Mitglieder und Sparer höhere Verluste bedeutet hätte.

Damit ging die Geschichte der Kredit-Bank Obernburg nach 58 Jahren zu Ende. Im 19. Jahrhundert konnte die Kreditgenossenschaft einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Wuchers in Obernburg leisten. Auf der Basis genossenschaftlicher Selbsthilfe wurden nicht nur Kredite zur Modernisierung von Landwirtschaft und Handwerk bereitgestellt, sondern auch der Neubau von Häusern finanziert.

Michael Stappel

Quellen:

  • „Jahrbuch des Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“, Ausgaben für die Jahre 1897 bis 1915
  • Otto Berninger: „100 Jahre Raiffeisenbank Wörth am Main“, in: Heimatkundliche Beilage zum Amtsblatt der Stadt Wörth am Main, Nr. 227 vom 17.11.1978
  • Robert Deumer: „Das deutsche Kreditgenossenschaftswesen“, Berlin 1933
  • „Obernburger Bote“, verschiedene Ausgaben zwischen 1879 und 1933
  • Preußische Central-Genossenschaft-Casse: „Genossenschaftskataster für das Deutsche Reich.“, Berlin 1904
  • Hermann Schulze-Delitzsch: „Vorschuss- und Kreditvereine als Volksbanken – Praktische Anweisung in deren Gründung und Errichtung“, Leipzig 1855