Die nach der Lektüre einiger ihrer Briefe aus der Korrespondenz mit der Stadtverwaltung sehr klug und geschäftstüchtig scheinende Kinounternehmerin hatte keine großen Schwierigkeiten, sich der neuen Zeit anzupassen. Sie erkannte durchaus, dass mit der machtpolitischen Änderung am 30. Januar 1933 völlig neue Aufgaben, wie die der propagandistischen Verbreitung des nationalsozialistischen Gedankengutes, auf sie zukommen würden. Schon am 30. Mai 1933 äußerte sie sich in einem Brief an den Stadtrat durchaus positiv in Bezug auf diese neuen Aspekte, die sich nun für ihr Unternehmen ergäben.
Sie beabsichtigte „.. eine Reihe von vaterländischen Filmen zu zeigen, die besonders für die heutige Zeit sehr geeignet sind und in der nationalen Aufklärung des deutschen Volkes einen wichtigen Faktor darstellen ..“, worin sicher nicht gerade eine anti-nationalsozialistische Einstellung zu vermuten war.
Mit der Einstellung, dass Anpassung und Geschäftssinn voneinander abhängig und untrennbar sind, stellte Frau Schnatz ihr Unternehmen auch jederzeit in die Dienste der Ortsgruppe, falls diese sie zu Propagandazwecken benötigte, wodurch zwischen ihnen ein sehr entspanntes Klima entstand.
Dieses gute Einvernehmen mit den behördlichen und parteipolitischen Stellen in Obernburg kam Erna Schnatz, die stets sehr vorausschauend dachte, natürlich außerordentlich zugute, als sie am 7. Juni 1937 in einem Schreiben an den Bürgermeister ihre Absicht äußerte, auf einem von ihr erworbenen Grundstück in der Adolf-Hitler-Straße (heute Lindenstraße) einen Lichtspieltheater-Zweckbau zu errichten. Sie begründete ihr Vorhaben damit „.. dass in Obernburg ein besonderes Bedürfnis für eine der deutschen Filmkunst würdigen Kunststätte besteht und von dieser Stätte aus das geistige und kulturelle Leben vermittelt werden soll.“
Mit dem damals wichtigen Zusatz, dass nur „.. deutsche Rohstoffe und kein Eisen am Bau zur Verwendung kommt ..“, bat sie den Bürgermeister um seine Unterstützung.
Zu dem Beschluss der Lichtspielunternehmerin, den sie schon Mitte des Jahres 1936 in Erwägung zog, kam begünstigend hinzu, dass das Bezirksamt den Raum in der „Traube“, der ihr bisher zur Verfügung stand, aufgrund technischer Mängel in Kürze schließen wollte. Der Bürgermeister bezeichnete den augenblicklichen Zustand, unter dem die Filmvorführungen stattfanden, als „.. gegenüber des hochkulturellen Wertes des deutschen Films unwürdig“, worin sich auch die Parteileitung einig war und zeigte sich damit sehr aufgeschlossen gegenüber den Plänen von Frau Schnatz. In einem Schreiben an sie, in dem er ihr seine volle Unterstützung zusagte, bezeichnete der ihr Vorhaben als „.. durchaus in der aufwärts strebenden Entwicklung unserer Stadt liegend ..“ und begrüßte ihren Vorschlag, ein neues Kino zu bauen.
Für den Bürgermeister, zugleich Ortsgruppenleiter der NSDAP, spielten natürlich noch ganz andere Interessen bei seiner begeisterten Haltung dem Projekt gegenüber ein Rolle. In einem Schreiben vom 7. Juni 1937 an die Landesleitung der Reichsfilmkammer in Bayern, deren Zustimmung für den Bau erforderlich war, begründete er seine Bitte um „grünes Licht“ für das geplante Projekt unter anderem damit, dass „.. die Errichtung des Neubaues auch parteiseitig sehr begrüßt wird, weil mangels geeigneter Räume auf dem Lande endlich die Gelegenheit kommt, würdige Feierstunden darinnen abhalten zu können.“
In einem weiteren Brief vom 8. November 1937, der ebenfalls an die Reichsfilmkammer, die bis zu diesem Zeitpunkt noch zu keinem Ergebnis in der ihr aufgetragenen Entscheidung gekommen war, gerichtet war, führte er an, dass er sich mit seinem Vorhaben verpflichtet fühle, „.. recht deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass der deutsche Film von heute im Zuge seiner hochkulturellen Entwicklung und seiner großen volkskulturellen Mission einen wichtigen Platz im kulturellen Leben des nationalsozialistischen Staates einnimmt.“ Außerdem betonte er, dass „.. der kühne Entschluss zum Neubau auch seitens der Stadt schon allein im Zuge der Stadtverschönerung und vor allem auch seitens der Partei recht lebhaft begrüßt und in Würdigung der Dienste der Spielleiterin ebenso gerne unterstützt wird.“
Nur wenige Tage später traf beim Bürgermeister ein Schreiben der Reichsfilmkammer ein, die sich darin seiner Auffassung anschloss und ein Verlassen der bisherigen Räume für die beste Lösung hielt.
Parallel zu diesen Bestrebungen hatte sich in der Kinofrage noch eine andere Alternative ergeben. Der Besitzer der „Traube“, Theodor Wilzbach, wollte nicht einsehen, dass ihm mit dem Auszug des Lichtspieltheaters aus seinen Räumlichkeiten wertvolle Mieteinnahmen verloren gehen sollten. Darum stellte er sogleich einen Antrag auf Genehmigung eines Um- oder Neubaues seines Saales, um dann die Spielerlaubnis einem anderen Filmvorführer überlassen zu können. Dies widersprach aber völlig den Plänen des Bürgermeisters, der Obernburg schon durch ein neues Kino bereichert sah.
Er beriet sich mit seinen Ratsherren und kam in Übereinstimmung mit deren Ansicht, „.. dass an dem jetzigen Platz im „Trauben-Garten“ die Neuerrichtung eines Lichtspieltheaters nicht mehr zugelassen werden kann, weil ein solches Gebäude auf einen wertvollen Platz und nicht in eine Ecke hinter ein Gasthaus gestellt werden muss..“, zu dem Entschluss, den Antrag des Gastwirts Wilzbach abzulehnen. Seiner Meinung nach wäre die Errichtung eines zweiten Kinos völlig unsinnig und so müsse „.. die Absicht und der Gedanke Herrn Wilzbachs zerstört werden, sich weiterhin mit Um- oder Neubauplänen zu befassen.“
Das wichtigste Argument seiner Begründung, durch das er in dem schon eben in Ausschnitten zitierten Schreiben an das Bezirksamt den Leiter dieser Behörde für seine Entscheidung gewinnen wollte, führte er darin als letztes auf. Seines Erachtens besaß der schon erwähnte Gastwirt „.. übrigens parteiseitig nicht die politische Zuverlässigkeit“!
Aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten hinsichtlich der Kommunikation zwischen der Reichsfilmkammer und der Stadtverwaltung, sowie einiger verwaltungstechnischer Schwierigkeiten beim Bürgermeisterwechsel, der zwischen Dezember 1937 und Juli 1938 stattfand, verzögerte sich das Projekt Kino-Neubau von Frau Schnatz trotz intensiver Bemühungen aller Seiten noch einige Monate, konnte aber dennoch im Jahre 1938 mit Unterstützung der Stadt realisiert werden. - Ende des Zitats -
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