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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Das Hirtenhaus
Im Katasterplan von 1844 ist neben dem Oberen Tor ein Gebäude eingezeichnet, das es heute nicht mehr gibt.

Dieses Gebäude war einmal das Haus des Stadthauptmanns, die Unterkunft seiner Soldaten und das Zollhaus. Hier wurde Pflasterzoll erhoben, den jedes stadtfremde Gespann, das die Römerstraße durchfahren wollte, bezahlen musste.

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Auf dem linken Bild, das um das Jahr 1890 aufgenommen wurde, sieht man, dass es noch keinen Fußgängerdurchgang am Oberen Tor gab. Von außen rechts neben dem Torturm (Kreis) und von innen links (Rahmen) ist noch das frühere Haus des Stadthauptmanns, das spätere Hirtenhaus zu sehen, in dem der städtische Hirte mit seiner Familie unter armseligen Bedingungen vegetierte.

Franz Link schreibt in seinen Memoiren:
„Wenn man durch das Obere Tor in die Stadt kam, stand rechts angebaut das alte Torwächterhäuschen, daneben ein Ziegenstall und ein Holzschuppen, während im anschließenden Hof sich zwei Hirtenhunde herumtrieben oder an der Kette lagen. Dieses Häuschen war die bescheidene Wohnung des Schweinehirten.

Jeden Tag Punkt zwölf Uhr zog der Schweinehirt mit seinen Hunden und der Peitsche in der Hand durch die Straßen und lockte durch ein Hornsignal seine Pflegebefohlenen aus den Ställen. Die Schweine hatten sich an den Hornruf so gewöhnt, dass sie schon darauf warteten. Sie kamen gern und zogen hinaus zur Buchhölle, wo sie sich in dem für sie bestimmten städtischen Grundstück einige Stunden tummeln konnten. Die Hunde und, wenn es notwendig war, die Peitsche hielten die Ordnung aufrecht und so vollzog sich der Ausflug und Einmarsch ohne Störung. Die Tiere fanden auch von selbst wieder in ihre gewohnten Ställe.

Mit dem Aufkommen der modernen Verkehrsmittel kam der Austrieb zum Erliegen und die Schweine mussten ohne täglichen Spaziergang und ohne den Genuss von Eicheln und Bucheckern des Waldes fett werden.

Der Schweinehirt galt als wichtige Person, denn er genoss das Vertrauen der Ortseinwohner und wurde von der Gemeinde besoldet. Einmal stellte der Hirte in einer Gemeinde höhere Lohnansprüche. Die Gemeindeväter hatten hierfür kein Verständnis und schrieben die Stelle neu aus. Es meldeten sich auch einige Interessenten und unterboten den bisherigen Schweinehirten so gewaltig, dass er sich bereit erklärte, seine Funktion ehrenamtlich weiterzuführen. Dazu scheint er veranlasst gewesen zu sein, weil er sich seinen Anteil an den Hausschlachtungen im Ort, der ihm nach altem Brauch zustand, nicht entgehen lassen wollte.“ Ob dies auch in Obernburg so war, ist dem Bericht von Franz Link nicht zu entnehmen.

In der Chronik von Dr. Leo Hefner „1900 Jahre Obernburg am Main“ ist zur Geschichte dieses Hauses folgendes zu lesen: „Das Hirtenhaus, an das Obere Tor angebaut, sollte nach 1890 restauriert und umgebaut werden. Während die Großprojekte, wie z.B. die Mainbrücke, die Schulen und die Kirche, großzügig durchgezogen wurden, stritten sich die Stadträte über zehn Jahre hindurch um dieses Haus, in dem damals der Schweinehirt N. Dürr mit seiner Familie wohnte. Es wirkt wie ein Symbol für das Ende einer Epoche, die von der Viehzucht und Landwirtschaft geprägt war und die man nun, vom industriellen Fortschrittsdenken beseelt, abzuschütteln versuchte.

Deshalb möchte ich den Bericht des Bezirksarztes Dr. Meyer vom 17.9.1893 zitieren, der von niemand aufgefordert, wie er eigens vermerkt, die Familie Dürr besuchte und hoffte, mit seiner Schilderung die Stadträte zu einer schnellen Entscheidung zu drängen.

Er schrieb: „Das Wohnzimmer ist für die Familie mit drei Kindern zu klein. Nach Abzug der Möbel bleiben als Wohnfläche noch zwei bis vier Quadratmeter. Das Zimmer im Parterre (es gab nur dieses) ist 2,20 Meter hoch und wird zum Wohnen, Kochen, Wäschetrocknen und als Winterquartier für die »Sauerkraut-Bütte«, (weil es keinen Keller gibt) benützt.

In einem fensterlosen dunklen Gang, der durch eine Türe betreten wird und der unter der Hängestiege liegt, über die durch eine Falltüre der obere Schlafraum zu erreichen ist, steht der Bedürfnis-Behälter. (Es gab keine Abortanlage. Ein Holzzuber, der täglich aufs Feld hinausgetragen wurde, war der Ersatz).
Im Schlafraum steht das eine Bett so nah an der Mittelmauer, dass die Schräge des Daches, (auf einem der Akte beigefügten Plan ist zu ersehen, dass das Haus ein Satteldach trug), dort wo die Nabelgegend eines Erwachsenen zu liegen kommt, zwischen Stiegenrampe und Türstock in der Höhe nur noch einen Platz von 33 cm zuließ, so dass sich ein Mann in acht zu nehmen hat - nicht zu reden von einer hochschwangeren Person.

Das Schlafzimmer lässt sich von der unter ihm liegenden Wohnstube durch einen deutschen Kamin nur schlecht erwärmen, ist jedoch hell und hätte auch hinreichend Platz, wären in ihm nicht auch die Wintervorräte, wie Äpfel, Nüsse, Mehl, Getreide, Einmachbohnen und die Kleider untergebracht. Hinzu kommt, dass über eine Sprossenleiter Stroh und Heu durch eine Dielenöffnung des Schlafzimmers in den Dachraum geschafft werden muss, wodurch die Schlafstube jedes Mal stark verunreinigt wird. In ihr stehen zwei Betten, das eine für die Eltern, das andere für die elf- und dreijährigen Knaben.

Da der Abort fehlt, müssen die Kinder ihre Bedürfnisse, wie oben erwähnt, in dem neben dem Wohnzimmer befindlichen blinden Raum deponieren, die Eltern der letzteren aber dieses Geschäft erweislich übrigens auch zugestandenermaßen bei Tag im Stalle, bei Nacht auf der Straße und zwar mit Vorliebe in dem rechts am Oberen Tor vorfindlichen Gassenwinkel erledigen.

Die Fenster des Wohnraumes geben zu wenig Licht, das Essen muss auch in der heißen Jahreszeit auf dem kleinen eisernen Ofen gekocht werden. Ein Beweis dafür, wie schlecht die hygienischen Verhältnisse sind, ist, dass der Familie bereits vier Kinder im Alter zwischen eins bis drei Jahren gestorben sind.“ Soweit die Ausführungen des Arztes.

Dennoch verschob der Stadtrat in seiner Sitzung vom 7.3.1898 die Reparatur des Hirtenhauses nochmals um ein Jahr. Die Begründung hierfür: Man hoffe, einen Hirten zu finden, der nicht mehr im Hirtenhaus wohnen wolle. Das wollte auch keiner mehr und so wurde es abgebrochen.“

Heinz Janson