Im Laufe der Zeit verlegte sich unser Spielplatz dann an das Mainufer. Da komme ich zu einem Thema, über das man wenig Gutes aber viel Schlechtes schreiben kann. Der Main, früher ein intakter, lebenssprühender natürlicher Fluss. Heute nur noch ein nackter Kanal, der die Schifffahrt bedienen muss und Strom erzeugen soll. Ausgebaggert, die Ufer mit riesigen Steinquadern beworfen und alles was stört weggeräumt. Wo sind die herrlichen, einige Meter breiten Schilfgürtel geblieben? Wo sind die Schilfinseln, die oberhalb der alten Badeanstalt waren? Wo sind die reichlich da gewesenen Lich-Vorkommen auf der Elsenfelder Seite. Lich wurde vom Fischer geerntet und an die Küfer als Dichtungsmaterial für die Fässer verkauft. Wo sind die Unterwasserpflanzen wie z. B. Laichkräuter, Armleuchtergewächs oder die Wasserpest? Dieses Kraut hat zwar keinen schönen Namen, sieht aber schön aus und ist ganz wichtig als Zufluchtstätte für die Fischbrut. In der alten Fähreinfahrt am Fährhäuschen, waren sogar Seerosen und Hahnenfussgewächse zu sehen.
Wo sind all diese Herrlichkeiten geblieben? Die Anpassung an den Fortschritt hat sie gierig aufgefressen und kaum ein Laichkraut übrig gelassen. Auch die hunderte Frösche, die im Sam (Wasserkraut) abends ihr lautes Konzert gaben, sind verschwunden. Kein Wunder, dass keine Störche kommen, sie würden glatt verhungern. Auch der Graureiher wird schon seltener. Wenn es so weitergeht hat selbst der Kormoran keine Nahrung mehr, denn die Fische sind auch, bis auf einen kleinen Restbestand, dezimiert. Daran hat sich der Kormoran aber auch selbst sehr beteiligt. Etwas muss man allerdings auch sagen, der Main war in den letzten Jahrzehnten noch nie so klar wie zur Zeit. Aber man hätte das auch erreichen können ohne den riesigen Verlust an Natur.
Wenn ich jetzt wieder zurückkomme auf meine Jugendzeit wird man verstehen, warum ich so engagiert über den Main schreibe. Mit sechs Jahren hatte ich meine erste große Begegnung mit dem Fluss. Mein Bruder Alfred, der in Stalingrad gefallen ist, nahm mich mit zu einem Nachtfischen. In der Abenddämmerung fuhren wir mit dem Obernburger Berufsfischer Franz Österlein, dem letzten Vertreter einer großen Fischerzunft, bis an die Mümling-Mündung, gegenüber der damaligen Glanzstoff (heute ICO). Dort wurden die ersten Netze quer über den Fluss gestellt.
Mich packten sie in eine dicke Decke, in der ich dann auch schnell einschlief. Um Mitternacht wurde ich geweckt, denn die Netze wurden nun eingeholt. Ich kann sagen, das war unbeschreiblich spannend als das Netz über den Kahnrand gezogen wurde und die Barben, Bräsen, Plötzen, Hechte und Rotaugen in den Kahn purzelten. Welch ein riesiges Erfolgserlebnis und die Belohnung für die harte Arbeit.
Mit acht oder neun Jahren war ich dann ständiger Begleiter von Franz. Nachdem die Schulaufgaben und häuslichen Arbeiten, die es ja damals noch reichlich gab, erledigt waren, rannte ich voll Freude zum Fischer hin. Besonders arbeitsintensiv war der Aalfang. Hier mussten wir schon Tage vorher kleine Köderfische fangen. Dabei steuerte ich den Kahn und Franz versuchte mit dem Hebgarn am Ufer entlang kleine Fische zu fangen. Dann wurden möglichst rechteckige Steine in den Kahn eingeladen. Für diese Steine hatte Franz an einer bestimmten Uferstelle einen Lagerplatz, so dass wir die Steine immer wieder benutzen konnten. Dann waren noch die Aalschnüre erforderlich. So eine Aalschnur war 15 Meter lang und hatte 12 dünnere Hakenschnüre.
In der Abenddämmerung wurden diese Schnüre mit den Köderfischen bestückt und mit den Steinen quer zum Fluss verlegt. Am Schilf wurde an dieser Stelle ein Papierzeichen angebracht, damit man die Aalschnüre wiederfand. Am nächsten Morgen wartete Franz schon um vier Uhr am Ufer auf mich. Die Zeit drängte, denn ich musste um acht Uhr in der Schule sein. Diese morgendliche Stimmung mit der allmählich einsetzenden Morgendämmerung bis hin zum ersten Sonnenahnen und schließlich der erste Sonnenstrahl, einfach unvergesslich schön.
Das Ganze bei absoluter Stille, kein Autolärm, Schiffe fuhren damals nicht nachts. Man hörte nur ab und zu ein Käuzchen schreien oder ein Schilfvogel flog erschreckt auf. Ansonsten war nur das Wassergeplätscher am Bug des Kahns oder das Springen eines Fisches zu hören. Die Nebelschwaden zogen über die Wiesen und darin stand immer wieder mal ein Fischreiher so unbeweglich, als wäre er aus Stein gemeißelt.
Das Heben der Schnüre erforderte viel Geschick, Gefühl und Erfahrung. Ich durfte den Kahn steuern und Franz suchte mit dem "Kringel" den Grund ab. Der "Kringel" war eine 3-4 Meter lange Stange mit einem eisernen Kopf. Dieser Kopf hat einen starken Zahn und einen Haken. Mit diesem Haken wurde die Schnur gesucht und gehoben. Der Fischer spürte dann ziemlich schnell, ob an der Schnur etwas hing oder nicht. Es zuckte dann sehr an der Schnur und Franz konnte mit dem Kescher den Fang einholen. Manche Aalschnur fanden wir auch nicht mehr. Entweder hatte sie ein schwerer Fisch weggezogen oder Treibgut hatte sie mitgenommen. Direkt am Almosenturm stand ein Ofen, in dem die Aale geräuchert wurden. Auch ich bekam einige Aale als "Belohnung" für meine Bemühungen. Die Aale war damals eine wertvolle und köstliche Ergänzung der Mahlzeiten.
Eine Begebenheit ist mir noch in besonderer Erinnerung. Wir waren gegen Abend beim Fischen kurz unterhalb von Erlenbach in der Flussabteilung "Im Kronisch". Die Fische gingen willig und zahlreich ins Netz. Da zogen dicke Wolken auf und es dauerte nicht lange bis es in Strömen regnete. Wir holten schnell die Netze aus dem Wasser und warfen uns das immer im Kahn vorhandene "Ölzeug" über. Das Netzeinholen gelang natürlich beim Regen nicht so gut wie normal. Wir waren zu dritt im Kahn. Der "dritte" Mann könnte man sagen war oft sehr impulsiv und schnell erregt. Kurz, er fluchte wie ein Rohrspatz. Da waren ganz fürchterliche Ausrufe und Verwünschungen dabei. Mir, als Kommunionbub, ging das durch Mark und Bein.
Da fing es auch noch an zu blitzen und zu donnern. Mir fuhr ein Schauer nach dem anderen über den Rücken. Und vor meinem geistigen Auge sah ich die Bibelstelle von den Jüngern auf dem See, die vor Todesangst zitternd, die letzte Stunde erwarteten. Ich dachte wir würden jeden Moment auf den Grund des Maines fahren. Aber zum Glück erinnerte ich mich auch an die Stelle in der Bibel, wo von den "Kleingläubigen" die Rede ist. Das war für mich wieder beruhigend.
Das Fahren eines Kahnes mit dem Fahrbaum war besonders reizvoll. Dabei brauchte man schon einige Kraft und einige Geschicklichkeit. Der Fahrbaum war auch eine 3-4 Meter lange Holzstange mit zwei spitzen Eisenzapfen und so dick wie eine Baumstütze. Der Baum wurde in den Grund gestoßen und man konnte den Kahn damit nach vorne schieben. Auch das Fahren mit dem Paddel musste man erst einmal erlernen und üben. Da gab es dann zwei Befehle vom Fischer: "Reihab" oder "Wasser". Bei "Reihab" musste man das Paddel unter den Kahn stechen und das Wasser nach außen drücken. Dann lief der Kahn nach rechts. Bei dem Befehl "Wasser" stach man den Paddel etwas entfernt von dem Kahn in das Wasser und zog ihn kräftig zu sich heran. Somit lief der Kahn nach links.
Diese Technik war besonders gefragt, wenn die großen Netze ausgestellt wurden. Sie wurden nachts quer zum Fluss und tagsüber am Schilf entlang ausgelegt. Die Fische flohen Richtung Flussmitte und der eine oder andere blieb im Netz. An manchen Tagen mussten man schon viel "Petri Heil" haben, um dann auch bei einem erfolgreichen Fischzug "Petri Dank" sagen zu können. Die Netze mussten nach dem Fang unbedingt getrocknet werden. Dazu wurden sie an den Bäumen unterhalb der alten Badeanstalt aufgehängt, wo auch die Ankerstelle des Fischerkahnes war. Oft mussten auch Netze repariert werden, Franz beherrschte noch diese Knüpftechnik.
|